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    Folge 1165: SOLARIS - Der Mensch braucht nur den Menschen

    deOctober 24, 2022
    What was the main topic of the podcast episode?
    Summarise the key points discussed in the episode?
    Were there any notable quotes or insights from the speakers?
    Which popular books were mentioned in this episode?
    Were there any points particularly controversial or thought-provoking discussed in the episode?
    Were any current events or trending topics addressed in the episode?

    About this Episode

    Wir suchen da draußen im Kosmos intelligente Außerirdische, einen zweiten Planeten – oder Gott. Aber wir werden uns nur selbst finden – und wenn wir eine fremde Intelligenz finden, werden wir sie nicht verstehen. Stattdessen wird sie uns spiegeln, unsere innersten Ängste, unsere Erinnerungen aus uns herausholen. Genau das beschreibt Stanislaw Lem in seinem Roman SOLARIS und Tarkovsky in seiner Verfilmung 1972: Die Männer aus der Station werden mit Verkörperungen ihres Unterbewussten konfrontiert, Doppelgänger, die nur wissen, was in der Erinnerung lag, Doppelgänger, die leben und atmen und unsterblich sind. „Gäste“ nennen die Wissenschaftler sie. Der Psychologe Kris Kelvin (Donatas Banionis) wird auf die Station geschickt, um zu entscheiden, was zu tun ist. Aber es geht ihm wie den anderen Männern. Aus seiner Erinnerung taucht seine ehemalige Freundin Hari auf, die sich nach der Trennung getötet hatte. Jetzt will Kris es besser machen, aber Hari ist genauso verzweifelt wie in seiner Erinnerung …

    Direkt nach dem Film reden Johanna (die den Film zum ersten Mal gesehen hat) und Thomas über lange Kameraeinstellungen und noch längere Straßen in Akasaka (Tokio), über Kleider, die man aufschneiden muss, über männliche Perspektiven und die Verarbeitung gescheiterter Beziehungen, über verdichtete philosophische Gespräche (wo ist Daniel Brockmeier, wenn man ihn braucht?), beeindruckendes Raumstationsdesign, noch beeindruckenderes Kostümdesign und Foreshadowing durch Orgelmusik. Gesehen haben wir den Film in der digital restaurierten Fassung im russischen Original mit deutschen Untertiteln im Kommunalen Kino in Mainz, dem Cinemayence.

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    Folge 1269: DUNE: PART TWO – Der Hamlet der Wüste

    Folge 1269: DUNE: PART TWO – Der Hamlet der Wüste
    Eine gute Entscheidung, dass Villeneuve wieder an Originalschauplätzen gedreht hat – was erst einmal wie eine mittelgute Pointe klingt, beschreibt die visuelle Qualität von DUNE und noch mehr von DUNE: PART TWO sehr gut. Der Film vermittelt tatsächlich den Eindruck, als hätte sich Villeneuve einfach gegen CGI entschieden, wäre nach Arrakis geflogen und hätte die Fremen überredet auf dem Wüstenplaneten vor die Kamera zu treten. Das bedeutet für mich als Zuschauer eine enorm immersive Illusion. Vergleichbar ist das – wenn überhaupt – nur mit der visuellen Dimension des ersten LORD OF THE RINGS von Peter Jackson im Fantasy-Genre und lässt alle anderen SF-Epen in dieser Hinsicht weit hinter sich.

    Frank Herberts Roman lässt sich durchaus missverstehen als Verherrlichung eines Feudalsystems und als Heldenkult – oberflächlich lässt sich Paul Atreides als White Saviour lesen, der kommt, um das religiös manipulierbare Wüstenvolk der Fremen zu befreien. Herberts kritische Ansätze über religiösen Fundamentalismus, Manipulation, Naturzerstörung, Ausbeutung, Faschismus und den rücksichtslosen Kampf der Eliten um wichtige Ressourcen, werden in der spannenden Handlung schnell überlesen. Villeneuve bemüht sich diese Kritik sichtbar zu machen: Paul spricht es mehrfach direkt an, dass es ihm als Außenweltler nicht zusteht, die Fremen zu führen. Und er weigert sich lange, seine Rolle in der politisch-religiösen Intrige der Bene Gesserit zu spielen.

    Villeneuve macht auch deutlich, dass der religiöse Fundamentalismus der Fremen das Ergebnis einer Manipulation durch eine Elite ist, der Film demaskiert Religion als Machtwerkzeug. Ein absoluter Gänsehaut-Moment, als Paul Atreides die Messiasrolle annimmt, um sie zu seinen Bedingungen auszufüllen. Während ich beim ersten DUNE noch mit Timothee Chamelet als Paul Atreides gefremdelt hatte (zu viel Kyle MacLachlan abgespeichert), hat er mich dieses Mal überzeugt als schlaksiger Königssohn, der zu früh und gegen seinen Willen erst in die Rolle des Herzogs, dann in die Rolle des Messias gedrängt wird – ein Hamlet der Wüste.

    Villeneuves DUNE: PART TWO ist auch ein Science-Fiction der starken und vor allem klugen Frauen: Die Bene Gesserit, die die toxisch-maskulinen Männer am Nasenring durch ihre Jahrhunderte alte Agenda ziehen, Pauls Mutter, die als Reverend Mother die Kontrolle übernimmt, die scharfsinnige Tochter des Imperators und vor allem Pauls Lebensgefährtin Chani, die sich (anders als in der Romanvorlage) gegen Pauls Heiligen Krieg stellt. Am Ende dieses zweiten Teils sind die Protagonisten ambivalent (Achtung SPOILER!): Die Überlebenden des Hauses Atreides werden das ganze Universum in einen Krieg mit vielen Millionen Toten führen, die edlen Freiheitskämpfer werden fanatische Werkzeuge eines Heiligen Krieges … Ich hoffe sehr, dass Villeneuve irgendwann einen dritten Teil dreht (der sich dann um DUNE MESSIAH drehen würde).

    Direkt nach dem Kino sind mitten in der Nacht vor dem Mikrofon: Johanna, Kathrin, Hendrik, Tom und Thomas. Wir diskutieren über Villeneuves Vertrauen in die Kraft seiner Bilder, ob das Epische ermüdet oder auch nicht, über Butlers Dschihad, Schauwerte und Bauchgrimmen, optischen Ekkletizismus, den visuellen Faschismus der Harkonnen, über abwesende Navigatoren und Christopher Walken als alter Imperator.

    Folge 1268: ZONE OF INTEREST - Im Paradies stört das Dröhnen der Verbrennungsöfen nicht

    Folge 1268: ZONE OF INTEREST - Im Paradies stört das Dröhnen der Verbrennungsöfen nicht
    Was mir am stärksten aufgefallen ist in Jonathan Glazers THE ZONE OF INTEREST: Die Illusion, dass wir gar kein inzeniertes Bild sehen, die Illusion, das das Gezeigte „real“, bzw. „original“ ist. Besonders im ersten Drittel des Films vermitteln die Farben und Perspektiven den Eindruck, als würden wir Material sehen, dass 1943 vor Ort gedreht wurde. Diese Form der visuellen Inszenierung verstärkt enorm die Aussage des Films: Dass die Integration massenvernichtender Menschenverachtung in den eigenen Alltag diese Verbrechen erst ermöglicht. Die sonnige Gartenidylle, die Rudolf Höß‘ Ehefrau Hedwig auf der Außenseite des Vernichtungslagers Auschwitz, ist ein ebenso paradiesischer wie perverser Selbstbetrug – immer wieder hörbar durch das ständige, dunkle Brummen der Ringöfen und sichtbar durch Feuer und Rauch aus den Schornsteinen.

    Es ist eine gute Entscheidung von Jonathan Glazer, dass wir als Zuschauer:innen die eigentlichen Verbrechen nicht sehen, denn so bleibt der Fokus ganz auf den Menschen, die die Verbrechen der Täter mittragen, befürworten und unterstützen. Im Podcast spreche ich mit Heidi und mit Gisela, deren Perspektive als Kriegskind (Jahrgang 1937) besonders interessant ist. Wir diskutieren die pathosfreie Darstellung der Nazis, den „Wannseekonferenz-Moment“, Sandra Hüllers großartige und furchterregende Darstellung der Hedwig Höß, über dunkelgraue Leinwände, den ungewöhnlichen Score und über unsere eigene Erinnerungen an den Besuch der Gedenkstätte in Auschwitz.

    Folge 1267: AND THE KING SAID, WHAT A FANTASTIC MACHINE - Lost in Pictures

    Folge 1267: AND THE KING SAID, WHAT A FANTASTIC MACHINE - Lost in Pictures
    Die Camera Obscura gehört zu den eindrücklichsten Phänomenen der optischen Physik: Wenn Licht durch ein Loch in einen dunklen Raum fällt, dann wird ein Abbild der Außenwelt auf die gegenüberliegende Wand geworfen, auf dem Kopf stehend. Unsere Augen funktionieren nach dem gleichen Prinzip (unser Gehirn stellt das Bild wieder auf die Füße), auch Fotokameras funktionieren so. Im Dokumentarfilmbilderrausch AND THE KING SAID, WHAT A FANTASTIC MACHINE sehen wir, wie überrascht und ungläubig die Menschen reagieren, wenn sie mit einer Camera Obscura konfrontiert werden.

    Wenn man eine Geschichte des Bildes von der Erfindung der Fotografie bis zu TikTok-Videos zeigen will, ist die Camera Obscura natürlich Pflichtprogramm, ebenso die Pferdefotografien, die kreisförmig angeordnet das erste Bewegtbild sind oder der einfahrende Zug als erster Film, der vor Publikum gezeigt wurde. In diesem 88 Minuten dauernden Bilderrausch ist es schwer, den roten Faden zu finden und nicht wieder zu verlieren. Es geht um die Illusion, dass Foto und Film die Wirklichkeit objektiv abbilden, es geht um die Veränderung der Bedeutung, wenn sich Perspektive und Ausschnitt verändern, es geht um die Allgegenwart der Bildinszenierung. Das vergisst man als Zuschauer schnell, wenn man zwischen dem Mob, der am 6. Januar 2021 das Capitol stürmte und verwüstete und kleinen Kindern, die „König der Löwen“ schauen, zwischen Livestreamern und Only-Fans-Videostars, zwischen Leni Riefenstahl und IS-Terroristen hin und her karbolzt wie ein betrunkenes Kaninchen.

    Im Podcast, den wir wie immer direkt nach dem Kinobesuch aufgenommen haben, spreche ich mit Bettina über einen Affen, der souverän Instagram auf dem Smartphone nutzt, und wir diskutieren, ob der Film gewonnen hätte, wenn man auf die Erklärerstimme verzichtet hätte und ob am Ende die Filmemacher sich selbst in der Fülle des Materials verloren haben.

    Folge 1266: FilmpodcasterFilmbloggerFrühstück (Powwow) auf NipponConnection 2023

    Folge 1266: FilmpodcasterFilmbloggerFrühstück (Powwow) auf NipponConnection 2023
    Traditionell treffen sich die Filmpodcaster und Filmblogger und alle die sonst noch Lust haben auf Nippon Connection zu einem Frühstück am Freitagmorgen mit starkem Kaffee, Croissants, süßen Erdbeeren und Himbeeren. 2023 waren dabei: Karoline aka Die Melanie, Daniel Haberkorn vom Altstadtkino, Malte von Sneaky Monday, Johannes von Untersicht, Knut von Ein Filmarchiv, Sanne und molosovsky und natürlich Thomas von SchönerDenken. Wie immer reden wir vor allem über alle Filme, die wir bis dahin schon auf dem Festival gesehen hatten, über Regisseure, die direkt nach dem langen Flug geduldig alle Fragen beantworten, über lange Schlangen vor den kulinarischen Highlights, über Frozen Beer und das Orakel der Pressetexte. Großer Dank an Nippon Connection für die Organisation und den schönen Raum!

    Folge 1265: CHUNGKING EXPRESS - Liebe in der großen Stadt

    Folge 1265: CHUNGKING EXPRESS - Liebe in der großen Stadt
    In der pulsierenden Metropole Hongkong suchen die Menschen – wie überall – nach Liebe. Wer keinen Partner hat, sucht und träumt, wer einen Partner hat, glaubt etwas Besseres zu finden oder wird verlassen. Sie treffen und verfehlen sich, wie sehnsüchtige Billardkugeln. Nichts ist sicher in Hongkong – drei Jahre vor der Rückgabe der britischen Kronkolonie an China. Vor allem nicht in den Chungking Mansions, dem überfüllten Hochhauskomplex mit den vielen Läden und billigen Wohnungen.

    Zwei Geschichten erzählt Wong Kar-Wai in seiner melancholischen Liebeskomödie: Ein Polizist, der gerade verlassen wurde, sich mit Ananas tröstet und schließlich in einer Bar auf eine Frau mit einer blonden Perücke stößt, die in den Chungking Mansions ein blutiges Drogengeschäft betreibt. Aber das Drama und die Gefahr wird nur angedeutet. Diese Geschichte erzählt Wong Kar-Wai in oft verfremdeten Bildern, als würde das Adrenalin der Großstadt wie eine Droge die Wahrnehmung verzerren. In der zweiten Geschichte wird ebenfalls ein Polizist von seiner Freundin (einer Stewardess) verlassen. In ihn verliebt sich die junge Faye. Sie kommt an den Schlüssel des Polizisten und stellt ihm nach …

    Für mich ist das die erste Begegnung mit Wong Kar-Wai. Direkt nach dem Kino konnte ich mit Johanna und Bettina die ersten Eindrücke festhalten. Im Podcast reden wir über eine übermächtige 90er-Nostalgie, über die visuelle Wucht von Wong Kar-Wais Hongkong, über die unerwartete Leichtigkeit dieser Liebeskomödie, über eine charmante Form von Stalking, über unvollendete Liebesgeschichten und IN THE MOOD FOR LOVE, über die Schönheit der Menschen und die Farben der Stadt – und wir sind uns einig: Wir würden Tony Leung eine Bordkarte geben. Jederzeit.

    Folge 1264: RETURN TO SEOUL - Das Leben vom Blatt spielen

    Folge 1264: RETURN TO SEOUL - Das Leben vom Blatt spielen
    Wessen Heimat und Identität nie in Frage stand, kann nicht ermessen, wie sehr die Suche nach und der Kampf um Heimat und Identität das ganze Leben prägt. Freddy, die junge Protagonistin in RETURN TO SEOUL ist in Südkorea geboren, von einem französischen Paar adoptiert worden. Als junge Frau besucht sie mehr oder weniger zufällig Seoul. Sie ist impulsiv und rebellisch, lässt sich von keinen Konventionen einengen und macht so sichtbar, wie viele Regeln wir in unserem Leben internalisieren. Mit koreanischem Aussehen und französischer Kultur ist sie wieder fremd und geht spontan, vielleicht sogar unüberlegt, auf die Suche nach ihren Eltern.

    Der Film führt uns durch mehrere Jahre (denn Freddy kehrt so schnell nicht nach Frankreich zurück) und zeigt in vier Episoden immer wieder neue Identitäten von Freddy – in all den Veränderungen bleibt die verweifelte Suche nach ihrer Identität bestimmend für ihr Leben. Im Podcast direkt nach dem Film reden wir über ihre Einsamkeit und Bindungsangst, über die Darstellung der südkoreanischen Familie, über koreanische Traumata und darüber, dass das Leben keine Generalprobe ist – das ganze Leben ist, als würde man ein unbekanntes Musikstück immer direkt vom Blatt spielen müssen. Im Podcast direkt nach dem Film am Mikrofon: Johanna, Bettina, Katharina, Hendrik und Thomas.

    RETURN TO SEOUL wird von MUBI im Streaming angeboten. Wir hoffen auf eine Bluray von Rapid Eye Movies.
    Alle Beiträge von SchönerDenken über koreanische Filme.
    Wer sich besonders für das koreanische Kino interessiert, sollte sich den Podcast Kino Korea von Stephan Fasold anhören.

    Folge 1263: POOR THINGS - Eraserhead meets My Fair Lady

    Folge 1263: POOR THINGS - Eraserhead meets My Fair Lady
    Im Kino beschleicht einen bei manchen Filmen das Gefühl: „Kenn ich schon“, „Habe ich so ähnlich schon mal gesehen“ oder „Ich weiß schon, was gleich passiert“. Davon ist POOR THINGS von Giorgos Lanthimos denkbar weit entfernt. Das Publikum betrachtet seine Frankensteingeschichte mit großen Augen und mit vor Erstaunen offenem Mund. Die Protagonistin Bella Baxter ist in die Welt geworfen, ohne Gedächtnis, mit den begrenzten Fähigkeiten eines neugeborenen Menschen. Aber sie lernt schnell – betreut vom exzentrischen Arzt Godwin Baxter, von Bella zärtlich „Gott“ genannt. Er hat die Rolle des Dr. Frankenstein – und das Aussehen von Frankensteins Monster. Als sie in die Welt aufbricht, verlässt sie das schwarzweiße Haus und entdeckt Sexualität, im bunten Lissabon den Fado, sie findet Bücher und den Sozialismus, stolpert über gesellschaftliche Konventionen und moralische Fragen.

    Lanthimos erzählt uns die Geschichte in einem visuellen Rausch, mit ungeheurem Einfallsreichtum und einer Ästhetik, die mit ihren Veränderungen der Entwicklung der Protagonistin folgt – von schwarzweißem Horror, über bunte Steampunkwelten bis zu einem magischen Realismus. Dabei ist POOR THINGS oft gleichzeitig todernst und albern, grotesk und verwirrend, gleichzeitig Feminismus und Exploitation. Die Schauspieler verlassen ihre Komfortzonen: Emma Stone ist als Bella maximal beeindruckend, Mark Ruffalo zeigt völlig neue Seiten. Im Podcast reden wir über die sehr starke Filmmusik von Jerskin Fendrix (die oft mit vier Tönen auskommt!), über Horror und Humor und stoßen auf die Frage, wie „alt“ Bella ist, als sie verführt wird und mit ihrem Liebhaber durchbrennt. Dabei sind die Üblichen Verdächtigen so zahlreich wie sonst nur bei James Bond 🙂 Im Podcast direkt nach dem Kino am Mikrofon: Johanna, Heidi, Anke, Kristin, Katharina, Bettina, Hendrik, Marc und Thomas.

    P.S. POOR THINGS ist eine Literaturverfilmung. Die gleichnamige Vorlage stammt von Alasdair Gray (1992).

    Folge 1262: Wim Wenders PERFECT DAYS #Japanuary2024

    Folge 1262: Wim Wenders PERFECT DAYS #Japanuary2024
    Einem Besucher in Tokio fallen zwei Besonderheiten im Alltag auf: Es gibt überall Getränkeautomaten und es gibt überall saubere, öffentliche Toiletten. Diese Toiletten zu reinigen ist Hirayamas Job. Eine einfache Arbeit, ein „dirty job“, den kaum einer machen will. Hirayama verleiht seiner Arbeit durch seine ruhige Zufriedenheit und seine Sorgfalt Würde. Sein einsames Leben durchläuft immer den gleichen Tagesrhythmus: Aufstehen, Blumen gießen, Zähneputzen, alles einpacken, vor die Tür treten, ein lächelnder Blick in den Himmel, eine Dose kalter Kaffee aus dem Automaten vor seiner Tür und dann geht es zur Arbeit. Nach der Arbeit geht er immer in den gleichen Läden essen, zuhause liest er und am nächsten Morgen geht es wieder von vorne los. Das hat etwas entspanntes, freies, unbelastetes. Aber Hirayama ist auch einsam, seine Bekanntschaften sind oberflächlich. Erst als seine Nichte Niko beim ihm auftaucht, gerät sein Leben in Bewegung.

    Regisseur Wim Wenders (der in einer kleinen Statistenrolle zu sehen ist) lässt sich Zeit, gibt uns ein Gefühl für diese Mischung aus Monotonie, Melancholie, Glück, Einsamkeit und Selbstzufriedenheit. Wir sehen Hirayama unterschiedlichste Toilettenhäuschen reinigen, sehen seine Arbeitskollegen, sehen sein altmodisches Leben mit Büchern statt einem Fernseher, mit Musik-Cassetten und einer analogen Kamera. Mit dieser Kamera fotografiert er immer wieder das Sonnenlicht zwischen den Blättern seines Lieblingsbaums – in Japan hat man dafür ein eigenes Wort: Komorebi. Im Podcast direkt nach dem Film im Murnau-Kino reden wir über die Intensität des Hauptdarstellers Koji Yakusho, über amerikanische Songs, angedeutetes Schicksal und Trauer. Am Mikrofon: Bettina, Johanna, Eva, Götz, Hendrik und Thomas. PERFECT DAYS ist der vierte Film, den wir für den Japanuary 2024 geschaut haben.

    P.S. Bitte verlasst den Kinosaal erst nach dem Abspann.
    P.P.S. Koji Yakusho hat uns schon begeistert in Miwa Nishikawas Meisterwerk UNDER THE OPEN SKY, Koreedas THE THIRD MURDER und Shiraishis BLOOD OF WOLVES.

    Folge 1261: Hayao Miyazaki DER JUNGE UND DER REIHER (Kimitachi wa Do Ikiru ka) #Japanuary2024

    Folge 1261: Hayao Miyazaki DER JUNGE UND DER REIHER (Kimitachi wa Do Ikiru ka) #Japanuary2024
    Der dritte Film, den wir für den Japanuary 2024 geschaut haben, ist Miyazakis vielleicht letzter Film: DER JUNGE UND DER REIHER, im Original „Kimitachi wa Do Ikiru ka“, was so viel bedeutet wie „Wie wollt Ihr leben?“ – eine Verfilmung des Romans von Genzaburo Yoshino, der eine besondere Bedeutung für Miyazaki hat. Nach zehn Jahren Pause ist Miyazaki also wieder zurück mit einem bildgewaltigen Film. Im Mittelpunkt steht der Junge Mahito, der 1943 im Krieg seine Mutter verliert, Sein Vater heiratet später die jüngere Schwester seiner Mutter. Als sie verschwindet, gerät Mahito auf der Suche nach ihr wie einst Alice in ein Wunderland. Es sind verschiedene Welten, dominiert von einem magischen Turm. Dort sitzt sein alter Großonkel, der Herr über diese Welten, der einen Nachfolger sucht.

    Miyzaki spricht in diesem Film in Metaphern, er zitiert sich selbst, er codiert und assoziiert. Viel Autobiographisches ist zu erkennen: Seine frühere Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegsjahre, sein Selbstportrait als alter Künstler. Vor allem geht es um Verlust und Tod, um die Kraft weiterzuleben und das Leben anzunehmen. Wenn man als Zuschauer versucht, beim ersten Schauen von DER JUNGE UND DER REIHER die Anspielungen und Rätsel zu verstehen und zu dechiffrieren, wird einem schnell der Kopf rauchen. Dann kann der Film sogar intellektuell überladen wirken.

    Oder man lässt sich einfach fallen in die großartige Bilderwelt, wo sich die ganze Leinwand mit Vögeln füllt, wo wir mit Mahito immer tiefer in das Kaninchenloch fallen, mit offenem Mund die vielen Segelschiffe am Horizont bestaunen, bevor uns hunderte Pelikane auf Arnold Böcklins Toteninsel angreifen. Im Podcast direkt nach dem Film diskutieren wir unter anderem über die Musik, über den eigentlichen Filmtitel „Wie wollt Ihr leben?“, ob man den Film am liebsten direkt noch einmal sehen will und sind uns einig, dass wir nie wieder Sittiche mit den gleichen Augen sehen werden. Am Mikrofon direkt nach dem Film in der Kälte vor dem Kino: Bettina, Katharina, Kristin, Johanna, Harald, Hendrik, Tom und Thomas.

    Folge 1260: Yasujiro Ozu DIE REISE NACH TOKIO (Tokyo monogatari) #Japanuary2024

    Folge 1260: Yasujiro Ozu DIE REISE NACH TOKIO (Tokyo monogatari) #Japanuary2024
    Der zweite Film, den wir für den Japanuary 2024 geschaut haben, ist Ozus DIE REISE NACH TOKIO. Ein kanonisierter Film, auch in Europa und in den USA hoch verehrt und DER typische Ozu-Film schlechthin: Die niedrige Kamera auf der Höhe eines sitzenden Beobachters, die langen, ruhigen Szenen, die unbewegte Kamera, die einfachen Sets und nicht zuletzt die Besetzung mit Chishu Ryu (Vater), Chieko Higashiyama (Mutter) und vor allem mit der charismatischen Setsuko Hara als Schwiegertochter und Witwe Noriko. Hier stehen die altgewordenen Eltern im Mittelpunkt: Sie besuchen ihre Kinder, die aber kaum Interesse an ihnen haben. Im boomenden Nachkriegs-Tokio ist kein Platz und keine Zeit für das alte Paar vom Land – nur die warmherzige Schwiegertochter Noriko ist wirklich gastfreundlich.

    Wir werden Zeuge von Gesprächen voller Nichtigkeiten, um Konflikte und Wahrheiten nicht zur Sprache zu bringen. Erst Alkohol und Trauer bringen später die Gefühle an die Oberfläche: Die Schmerzen und Enttäuschungen eines ungelebten Lebens. Angedeutet werden die Veränderungen in der Gesellschaft und die Narben, die der Krieg in den Menschen hinterlassen hat. Die emotionale Reise erzählt Ozu in leisen Tönen und hat damit unsere ganze Aufmerksamkeit. Er verzichtet auf Irritationen, sein ebenso langsam wie behutsam inszenierter Film erscheint uns pur und makellos. Ein Film, dessen Handlung und dessen Figuren wir uns 80 Jahre nach seiner Entstehung verbunden fühlen. Am Mikrofon direkt nach dem Film: Hendrik, Tom und Thomas.