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    Explore "ms therapie" with insightful episodes like "#238: Interview Prof. Dr. Kerstin Hellwig über Therapieentscheidungen bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Stillzeit", "#222: ECTRIMS 2023. Tag 2. Menopause. Wirksamkeit der Behandlung. Immunrekonstitutionstherapie. Gesunder Lebensstil.", "#215: Trigeminusneuralgie und MS – eine unsichtbare Herausforderung. Interview mit Dr. Monika Köchling", "#174: Interview mit Prof. Meuth zu den Grundlagen der hämatopoetischen Stammzelltransplantation (HSCT / aHSCT) – wann und für wen ist sie geeignet?" and "#173: Interview mit Philip van Hövel zur KI-gestützten Therapieempfehlung PHREND bei MS" from podcasts like ""MS-Perspektive - der Multiple Sklerose Podcast", "MS-Perspektive - der Multiple Sklerose Podcast", "MS-Perspektive - der Multiple Sklerose Podcast", "MS-Perspektive - der Multiple Sklerose Podcast" and "MS-Perspektive - der Multiple Sklerose Podcast"" and more!

    Episodes (14)

    #238: Interview Prof. Dr. Kerstin Hellwig über Therapieentscheidungen bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Stillzeit

    #238: Interview Prof. Dr. Kerstin Hellwig über Therapieentscheidungen bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Stillzeit

    Prof. Kerstin Hellwig hat das Deutschsprachige Multiple Sklerose und Kinderwunsch Register gegründet und gibt Einblicke in die Erkenntnisse.

    Das Transkript vom Interview findest Du auf meinem Blog: https://ms-perspektive.de/238-kerstin-hellwig

    Prof. Dr. Kerstin Hellwig hielt 2004, damals selbst schwanger, eine Informationsveranstaltung für Frauen mit Kinderwunsch und erhielt viele Fragen zur Schwangerschaft und Stillzeit, auf die es keine Antworten gab. Daraufhin initiierte sie das Deutschsprachige Multiple Sklerose Kinderwunschregister, kurz DMSKW. Seitdem konnte sie dank der bereitwilligen Auskunft werdender Mütter mit MS viel dazu beitragen, die ehemals offenen Fragen zu beantworten und pflegt mit ihrem Team kontinuierlich neue Informationen ein. Wir unterhalten uns über die häufigsten Fragen und wo man die passende individuelle Beratung findet. Eines vorweg: Es gibt für jede Situation eine Lösung und alle Frauen mit Kinderwunsch können heutzutage sicher diese einzigartige Erfahrung durchleben, sofern es biologisch klappt. Am besten gut vorher geplant, damit die MS sich gar nicht erst in den Vordergrund spielen kann, sondern die Bühne dem Familienglück vorbehalten bleibt.

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    Vorstellung – Wer ist Prof. Dr. Kerstin Hellwig?

    Also mein Name ist Kerstin Hellwig, ich bin Neurologin und arbeite im Ruhrgebiet. Ich habe 25 Jahre in der Uniklinik in Bochum gearbeitet, habe da auch zum Schluss die Poliklinik, die MS-Ambulanz geleitet, bin jetzt seit einem Jahr niedergelassen, betreue aber weiterhin ein bundesweites MS / NMOSD und auch ein bisschen andere seltenere Autoimmunerkrankungen-Schwangerschaftsregister, was ich 2006 ins Laufen gebracht habe.

    Der Hintergrund dazu ist der, dass ich 2004 selbst schwanger war. Mein männlicher Kollege, Oberarzt, damals gesagt hat, hör mal, du bist die einzige Frau bei uns in der Gruppe, du machst hier mal bei unserem Patiententag so einen Schwangerschaftsworkshop für die Patienten. Da habe ich gesagt, okay, mache ich. Hatte mich vorbereitet, dann kamen so viele Fragen, die ich alle nicht beantworten konnte. Und dann habe ich meine Tochter bekommen 2004 und habe dann in der Elternzeit gedacht, diese Fragen kann man nicht beantworten, weil ich mich schlecht vorbereitet hatte, sondern es gibt einfach keine Daten. Daraufhin habe ich beschlossen, ein Schwangerschaftsregister zu gründen. Und so fing das langsam an, ursprünglich mal mit der Idee, mehr Daten zur Medikamentensicherheit für die Expositionen in der Schwangerschaft zu sammeln und dann wurde es immer größer und mittlerweile haben wir 5.000 Schwangerschaften und deswegen haben Sie mich eingeladen.

    Möchten sie den Hörerinnen und Hörern noch etwas mit auf dem Weg geben?

    Ich sehe, Sie haben eine Frage vergessen, die hatte ich auch schon gar nicht mehr in meinem Repertoire gehabt, aber ich habe gestern noch eine E-Mail gekriegt von einer Patientin von mir. Ich sollte Ihrer Gynäkologin bitte einen Brief schreiben, dass sie auch mit dieser Erkrankung normal entbinden dürfe und auch eine PDA bekommen dürfe. Und ich hab mich so aufgeregt, dass ich ihr zurückgeschrieben hab, die Gynäkologin sollte die Fachliteratur lesen und mir selber eine E-Mail schreiben. Das würde ich ihr auch gerne selber nochmal sagen.

    Nein, also wirklich so ganz im Ernst, man kann mit einer MS entbinden, wie man möchte, die Art der Entbindung beeinflusst das Schubrisiko nicht. Und auch eine Periduralanästhesie kann ohne Erhöhung des Schubrisikos gegeben werden. Da gibt es Daten dazu, das ist jetzt nicht meine Meinung, sondern es gibt Studien, die haben nicht gezeigt, dass da ein Schubrisikounterschied ist.

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    Vielen Dank an Prof. Kerstin Hellwig und das komplette Team vom DMSKW für all die bsiher geleistete Arbeit und das kontinuierliche Engagement.

    Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
    Nele

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    #222: ECTRIMS 2023. Tag 2. Menopause. Wirksamkeit der Behandlung. Immunrekonstitutionstherapie. Gesunder Lebensstil.

    #222: ECTRIMS 2023. Tag 2. Menopause. Wirksamkeit der Behandlung. Immunrekonstitutionstherapie. Gesunder Lebensstil.

    Wie wirkt die Menopause auf die MS? Wirksamkeit verschiedener Behandlungsalgorithmen inkl. Immunrekonstitutionstherapie. Gesunde Lebensweise.

    Du findest den vollständigen Artikel zum Nachlesen auf meinem Blog: https://ms-perspektive.de/222-ectrims-2023-tag-2

    Der zweite Tag auf der MS Mailand 2023 war wieder vollgepackt mit vielen wertvollen Informationen. Und so viele spannende Vorträge fanden gleichzeitig statt.

    Ich werde mich auf die folgenden Themen konzentrieren:

    • Brennende Debatte über die Menopause: Alle Frauen mit MS sollten eine Hormonersatztherapie beginnen…
    • Wirksamkeit der Behandlung
    • Satellitensymposium 5: Wie die Immunrekonstitutionstherapie das MS-Management verändert hat
    • Wissenschaftliche Sitzung 13: Gesunder Lebensstil für das MS-Management
    • Wissenschaftliche Sitzung 14: Lungen-Darm-Hirn-Achse
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    Nur eine Bemerkung zu Beginn. Ich habe die bereitgestellten Inhalte während der Präsentationen auf dem ECTRIMS 2023 weitgehend verwendet und lediglich einige Erklärungen hinzugefügt, um sie leichter verständlich zu machen.

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    Ich hoffe, die Zusammenfassung von Tag 2 des ECTRIMS hat dir einige wertvolle Informationen geliefert. Eine Botschaft, die du mitnehmen solltest, ist, dass du deine Therapieentscheidungen mit einem MS-Spezialisten besprechen solltest, der über die neuesten Forschungsdaten auf dem Laufenden ist. Außerdem solltest du die Möglichkeiten nutzen, den Schweregrad der Krankheit durch einen gesunden Lebensstil zu verringern, von Bewegung über Ernährung bis hin zu einem lungenfreundlichen Leben.

    Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
    Nele

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    #215: Trigeminusneuralgie und MS – eine unsichtbare Herausforderung. Interview mit Dr. Monika Köchling

    #215: Trigeminusneuralgie und MS – eine unsichtbare Herausforderung. Interview mit Dr. Monika Köchling
    MS-Patienten können zusätzlich unter einer Trigeminusneuralgie leiden, die sehr schmerzhaft ist. Dr. Köchling klärt über die Behandlung auf.
     
    Auf meinem Blog findest du das komplette Interview zum Nachlesen aller wichtigen Differentialdiagnosen und Behandlungsoptionen: https://ms-perspektive.de/215-trigeminusneuralgie

    Diesmal spreche ich Dr. Monika Köchling über die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten einer Trigeminusneuralgie. Da diese Form der Gesichtsschmerzen zu extremen Einschränkungen in der Lebensqualität führen kann, ist es enorm wichtig, sie zu behandeln. Die gute Nachricht, es gibt viele Ansätze, die Schmerzen unter Kontrolle zu bringen oder sogar ganz loszuwerden. Allerdings kann das manchmal etwas länger dauern und es ist wichtig gemeinsam mit den behandelnden ÄrztInnen nach der Lösung zu suchen und eventuell auch mehrere Ansätze auszuprobieren.

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    Vorstellung Monika Köchling

    Ich arbeite in Grevenbroich als Neurologin, Psychiaterin und Psychotherapeutin in einer großen Gemeinschaftspraxis, dem NeuroCentrum am Rheinlandklinikum. Ich lebe in Düsseldorf und bin in 2.Ehe verheiratet. Außerdem habe habe ich zwei erwachsene Söhne. Zu meinen Hobbies zählen das Singen im Chor, das Wandern und die Lyrik.

    Abschließend, was ist die wichtigste Botschaft, die sie MS-Patienten mit Trigeminusneuralgie mit auf den Weg geben möchten?

    Die Haltung ist entscheidend. Verzweifeln sie nicht. Werden und bleiben sie widerstandsfähig und wagen sie Neues.

    Ich zitiere Hilde Domin:

    „Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug.“

    Wo findet man sie im Internet bzw. vor Ort?

    NeuroCentrum am Rheinlandklinikum in Grevenbroich
    Am Ziegelkamp 1f
    41515 Grevenbroich
    www.neuro-centrum.net
    www.neurotransconcept.com

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    Vielen Dank an Frau Dr. Köchling für den tiefgehenden Einblick in die Möglichkeiten eine Trigeminusneuralgie zu behandeln.

    Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
    Nele

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    #174: Interview mit Prof. Meuth zu den Grundlagen der hämatopoetischen Stammzelltransplantation (HSCT / aHSCT) – wann und für wen ist sie geeignet?

    #174: Interview mit Prof. Meuth zu den Grundlagen der hämatopoetischen Stammzelltransplantation (HSCT / aHSCT) – wann und für wen ist sie geeignet?

    Prof. Dr. Sven Meuth erklärt für wen und zu welchem Zeitpunkt der Multiplen Sklerose die Stammzelltransplantation / HSCT / aHSCT Sinn macht.

    Hier geht es zum Blogbeitrag, wo es den Beitrag auch zum Nachlesen gibt: https://ms-perspektive.de/prof-meuth-grundlagen-der-hsct

    Für Folge 174 habe ich mir Univ-Prof. Dr. Dr. Sven G. Meuth als Interviewgast eingeladen. Er ist Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Düsseldorf. Seine Klinik gehört zu den wenigen in Deutschland, die eine autologe hämatopoetische Stammzelltransplantation, kurz HSCT bzw. aHSCT, für MS-Patienten anbieten.

    Doch während manche die Stammzelltransplantation (HSCT) als heiligen Gral ansehen, macht dieser therapeutische Ansatz nur für eine bestimmte Zielgruppe innerhalb der Menschen mit MS Sinn. Wir sprechen über die Grundlagen und vor allem für wen und innerhalb welchen Zeitfensters die Behandlung eine sinnvolle Option ist.

    Inhaltsverzeichnis

    Wo findet man mehr Informationen zum Thema autologe Stammzelltransplantation?

    Die European Society for Blood and Marrow Transplantation, die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie sowie das Kompetenznetz Multiple Sklerose haben einige hilfreiche Online-Ressourcen darüber veröffentlicht.

    Welche Entwicklung für die autologe Stammzelltransplantation bei MS wünschen sie sich in den kommenden 5 Jahren?

    Auf jeden Fall einige hochwertige, multizentrische, randomisierte, kontrollierte klinische Studien. Diese bilden die Grundlage für bewährte medizinische Verfahren.

    Verabschiedung

    Möchten sie den Hörerinnen und Hörern noch etwas mit auf dem Weg geben?

    Ich bedanke mich herzlich für Ihr Interesse und wünsche allen Zuhörer:Innen alles Gute!

    Um Updates zur MS, der Arbeit in unserer Klinik und Neuigkeiten aus der Forschung zu erhalten vernetzen Sie sich mit uns auf Instagram unter  (@reinenervensache_meuth)  oder schauen Sie auf unseren Blog: www.reine-nervensache.de.

     

    Vielen Dank an Prof. Dr. Sven Meuth für die Ausführung zur Stammzelltransplantation und der Erläuterung, für welche Patienten sie Sinn macht und wann und welche Risikoabwägungen getroffen werden müssen.

    Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
    Nele

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    #173: Interview mit Philip van Hövel zur KI-gestützten Therapieempfehlung PHREND bei MS

    #173: Interview mit Philip van Hövel zur KI-gestützten Therapieempfehlung PHREND bei MS
    Philip van Hövel & Team haben die Plattform PHREND entwickelt, die Neurologen dabei hilft, die passende Therapie für MS-Patienten zu wählen.
     
    Hier geht es zum Blogbeitrag: https://ms-perspektive.de/phrend

    In Folge 173 interviewe ich Philip Hövel zur KI-gestützten Therapieempfehlung namens PHREND. Multiple Sklerose ist eine hochgradig komplexe Erkrankung, die sehr unterschiedlich verläuft, was ihr auch den Beinamen Krankheit der 1.000 Gesichter eingebracht hat. Mittlerweile gibt es vor allem für den schubförmigen Verlauf, wo die Entzündungsaktivität im Vordergrund steht, viele verlaufsmodifizierende Medikamente. Doch welches ist nun das richtige für eine ganz konkrete Person zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben? Das ist gar nicht immer so leicht. Da spielt der Kinderwunsch rein, die Aktivität der Erkrankung, Verträglichkeit, aber auch persönliche Ziele und Präferenzen. Manche Medikamente muss man öfter nehmen, andere verlangen nach mehr Laborchecks und die Nebenwirkungsprofile unterscheiden sich.

    Die KI-unterstützte Therapieempfehlung kann somit vor allem für Neurologen, die noch andere neurologische Erkrankungen behandeln eine wertvolle Hilfe sein, wenn es darum geht das individuell bestpassendste Medikament für ihre Patienten zu finden.

    Inhaltsverzeichnis

    Vielen Dank an Philip van Hövell für das Interview und den Einblick in die Möglichkeiten künstliche Intelligenz als Zweitmeinung bzw. Unterstützung bei der optimalen individuellen Therapieentscheidung zu nutzen.

    Bis bald und mach das beste aus deinem Leben,
    Nele

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    #163: Einblick ins Multiple Sklerose Management Studium

    #163: Einblick ins Multiple Sklerose Management Studium

    Seit 2020 kann man berufsbegleitend Multiple Sklerose Management studieren, um ein MS-Experte mit exzellentem Netzwerk zu werden und den Abschluss Master of Science zu erhalten. Aus Patientensicht eine ganz großartige Sache, denn falsche oder nicht zeitgemäße Behandlung können die Lebensqualität massiv verschlechtern. Ich habe bereits einige Patienten kennengelernt, die verspätet diagnostiziert wurden, keine passende verlaufsmodifizierende Therapie erhielten oder symptomatisch unzureichend therapiert wurden.

    Hier geht es zum vollständigen Blogbeitrag inklusive Text zum Nachlesen: https://ms-perspektive.de/multiple-sklerose-management-studium

    Je mehr qualifiziertes medizinisches Fachpersonal in der Fläche arbeitet, umso besser. Natürlich gibt es auch andere Beweggründe sich für den Studiengang zu entscheiden. Bei mir ist es der Wunsch wissenschaftlich korrekt über die Multiple Sklerose und die Möglichkeiten der Einflussnahme zu informieren. Damit es immer mehr Menschen mit MS gibt, die gut informiert für sich selbst bewusste und möglichst gesunde Entscheidungen treffen können.

    Doch um MS richtig behandeln zu können, muss man die Krankheit im Detail verstehen und auf dem neuesten Wissensstand sein und bleiben. Dazu gehören solide Grundlagen, eine präzise Diagnostik, detailliertes Wissen um die Möglichkeiten der verlaufsmodifizierenden Therapie, um diese individuell für jeden Patienten auszuwählen, aber auch die Bandbreite an symptomatischen Therapieangeboten und der objektiven Verlaufsbeobachtung.

    Denn MS kann sich schleichend weiterentwickeln, was die Gefahr beinhaltet nicht rechtzeitig zu reagieren. Auch das Lesen und Verstehen von Statistik, die meist im Zusammenhang mit Studien steht ist wichtig. Schließlich ist nicht jede Studie qualitativ gut und aussagekräftig.  

    Doch wie sieht es mit der Vereinbarkeit von Beruf und Studium aus? Das Studium dauert zwei Jahre und findet größtenteils in Form von Online-Vorlesungen an einem festen Wochentag abends statt. Es wird um einige Blockwochenenden ergänzt, die teilweise in Präsenz, aber auch online abgehalten werden. Und natürlich gibt es am Ende eines jeden Moduls zu erbringende Prüfungsleistungen, mal als Klausur, aber auch in mündlicher Form als Fallbericht.

    Um ein besseres Verständnis vom Studiengang Multiple Sklerose Management zu bekommen, habe ich den Studiengangsleiter Prof. Dr. Tjalf Ziemssen sowie drei Studenten aus dem ersten Matrikel interviewt.

    Inhaltsverzeichnis

    Vielen Dank an alle Interviewgäste und vor allem für das Engagement für uns MS-Patienten. Denn für eine optimale Betreuung und Beratung bedarf es dem aktuellen Wissensstand und der individualisierten Auswahl an Möglichkeiten zur Diagnostik und Behandlung.

    Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
    Nele

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    #135: Digitale Unterstützungsangebote für MS-Patienten

    #135: Digitale Unterstützungsangebote für MS-Patienten
    Die Themenwoche "Digitale Unterstützungsangebote für MS-Patienten" beginnt mit einer Einführung warum diese Angebote nötig und hilfreich sind.
    Coverbild zu Themenwoche

    Die Diagnose Multiple Sklerose bedeutet momentan, dass man die Krankheit ein Leben lang behält. Zum Glück verbessert sich die Prognose stetig, da immer mehr Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dazu zählen auch die vielfältigen digitalen Unterstützungsangebote. Folge #135 bildet den Auftakt zu einer Themenwoche.

    Ich möchte Dir einige Beispiele vorstellen, die es für Betroffene und ihre behandelnden Ärzte gibt und welche Vorteile damit einhergehen können. Dabei habe ich mich auf eine Auswahl beschränkt. Das Angebot wächst stetig und es reicht von kleinen allgemeinen Lösungen bis hin zu spezifischen Anwendungen für ein Symptom der MS.

    Überblick zu drei digitalen Angeboten für MS-Patienten

    Ich gebe Dir einen Einblick, was digitale Gesundheitsanwendungen, kurz DiGAs, sind und wie man diesen Status erhält. Du erfährst, welche DiGA bereits zur Behandlung der Fatigue zugelassen ist, welche App die Bewerbung als DiGA vorbereitet, und welche App gerade in einer Teilstudie für eine verbesserte Behandlung von MS-Patienten getestet wird. Natürlich geht es auch um Datenschutz und den Mehrwert digitaler Anwendungen aus Patientensicht.

    Wieso digital?

    Bei einer chronischen Erkrankung wie Multipler Sklerose fallen im Laufe der Jahre und Jahrzehnte riesige Mengen an Daten pro Patient an. Und diese Daten enthalten Informationen, die wenn sie zu Tausenden anonymisiert ausgewertet werden zu einer verbesserten Behandlung beitragen können. Das wäre auf Papier ein nicht zu bewältigender Aufwand.

    Digital hingegen kann man nach Anhaltspunkten suchen, sowohl jetzt, als auch zu einem späteren Zeitpunkt, falls sich neue Fragestellungen und Theorien ergeben haben, die überprüft werden sollen.

    Wie stehen bestimmte Symptome, die Du regelmäßig vermerkt hast, in Zusammenhang mit dem Verlauf Deiner Erkrankung? Was kann man davon im MRT sehen oder auch nicht? Wie beeinflusst ein neues Medikament Dein Allgemeinbefinden? Wie wirkt sich die Ergotherapie auf Deine Feinmotorik aus? Viele Fragen, die digital deutlich einfacher überprüft werden können. Ob es immer ein aussagekräftiges Ergebnis gibt, ist eine andere Sache.

    Aber auch für Dich kann es interessant sein, wenn Du über einen längeren Zeitraum Deine Fähigkeiten beobachten kannst, weil Du sie regelmäßig überprüfst. Und gerade kognitive Tests fallen Dir möglicherweise im privaten Umfeld viel leichter und Du erzielst bessere Ergebnisse. Wer weiß?

    Die zugelassene DiGA zur Fatigue ermöglicht Dir, komplett individuelle Wege zu gehen. Denn Fatigue ist nicht gleich Fatigue. Die Ursachen sind ebenso wie die MS sehr vielfältig. Und was dem einen hilft, muss Dir nicht helfen. Aber in einem digitalen Programm ist es kein Problem, mittels Fragen Deine individuelle Problematik zu erfassen und darauf passende Lösungen anzubieten.

    Welche Gemeinsamkeiten haben die digitalen MS-Angebote?

    Eine Gemeinsamkeit haben alle drei vorgestellten Lösungen. Sie sollen das Leben mit Multipler Sklerose verbessern. Doch was heißt das? Bei einer chronischen Erkrankung wie der MS, die ohne ein Eingreifen zu einer stetigen Verschlechterung führt, geht es darum den Verlauf zu verlangsamen, am besten zu stoppen. Da MS multifaktorisch ausgelöst wird und auch der Verlauf von mehreren Faktoren abhängt, gibt es jede Menge Möglichkeiten, darauf Einfluss zu nehmen.

    Das beste Ergebnis kann nur gemeinsam erreicht werden, sprich wenn ein Neurologe, spezialisiert auf MS und auf dem neuesten Wissensstand, und ein Patient mit guter Kenntnis über seine Erkrankung zusammenarbeiten. In der Fläche kann es aber nicht nur MS-Spezialisten bei den Neurologen geben. Deshalb sind digitale Unterstützungen eine Möglichkeit einem Neurologen, der viele Erkrankungen behandelt dabei zu helfen auf dem neuesten Stand zu bleiben und die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen.

    Da viel Krankheitsaktivität im Verborgenen stattfindet und gerade zu Beginn der MS kaum sichtbar oder spürbar ist, helfen häufig durchgeführte Tests dabei, diese verborgene Aktivität zu erfassen.

    Je besser der Ist-Stand dokumentiert wird und die Veränderungen über die Zeit, desto spezifischer können therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden. Dazu zählen sowohl die verlaufsmodifizierende Therapie als auch begleitende Maßnahmen wie Physiotherapie, Ergotherapie, Psychotherapie, eine Ernährungsumstellung, Sport und andere.

    Wie sieht es mit dem Datenschutz aus?

    Datenschutz ist ein wichtiges Thema und ich persönlich überlege mir sehr genau, wo und wem ich meine Daten anvertraue. Aber Fakt ist, dass intelligent ausgewertete anonymisierte Daten, Forscher und Ärzte in die Lage versetzen Zusammenhänge zu erkennen, die zu einer besseren Behandlung führen oder vor Behandlungsfehlern schützen. Und wenn an einer Stelle alle Medikamente notiert werden, die ein Patient einnimmt, dann kann ein intelligentes Programm, das gut mit Daten gefüttert ist, aufzeigen, wo es Probleme geben kann, weil sich die Wirkung von Medikamenten aufhebt oder zum Gesundheitsrisiko wird.

    Selbstverständlich unterliegen alle drei vorgestellten Lösungen sehr strengen Auflagen zum Datenschutz.

    Bei einer normalen Gesundheitsapp muss nur die DSGVO beachtet werden, also die Datenschutzgrundverordnung. Bei den digitalen Gesundheitsanwendungen, den DiGAs werden hingegen die strikten Vorgaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte umgesetzt. Auch das andere hier vorgestellte Angebot unterliegt hohen Datenschutzvorgaben, damit die Patientendaten zu jedem Zeitpunkt bestens geschützt sind und nur an den vorgesehenen Stellen entschlüsselt werden können, damit Ärzte und Forscher ihrer Arbeit nachgehen können.

    elevida – Online-Angebot zur Verringerung der Fatigue bei MS

    Gerade unsichtbare Symptome wie die Fatigue können das Leben in allen Bereichen stark in Mitleidenschaft ziehen. Doch es gibt erprobte Verhaltensweisen, die die Auswirkungen der Fatigue verringern können.

    Oft fällt das Neinsagen schwer, werden zu wenig Pausen genommen oder lieber auf Schonen gesetzt, statt auf körperliche Aktivität, was besser wäre. Die digitale Gesundheitsanwendung, kurz DiGA, namens elevida widmet sich erfolgreich diesem Symptom. Sie ist die erste zugelassene DiGA speziell für MS-Patienten und wurde von Ärzten und Psychotherapeuten gemeinsam entwickelt.

    Das Online-Angebot hilft dem Patienten individuell, basierend auf einem Dialog, Lösungen für seine spezifische Problematik mit der Fatigue zu finden. Der Patient erhält unter anderem Tipps zur richtigen Balance von Aktivität und Erholung, lernt gesunde Gedanken- und Verhaltensmuster kennen, und wie er die Unterstützung von Freunden, Familie und Kollegen nutzen kann. Am Ende geht es noch darum, die Veränderungen dauerhaft umzusetzen.

    Das läuft alles über eine Online-Plattform ab. Zusätzlich erhält man SMS-Nachrichten mit kleinen Impulsen, wie dem Hinweis, dass ich nicht alles allein bewältigen muss, sondern auch Freunde und Familie fragen kann. Näheres erfährst Du in Folge 136.

    Logo von elevida - Online-Angebot zur Behandlung der Fatigue bei MS
     

    Emendia MS – App zum besseren Verstehen und Verfolgen der MS

    Multiple Sklerose zeichnet sich durch eine Vielzahl an sichtbaren und unsichtbaren Symptomen aus, die von körperlichen Einschränkungen über Schmerzen bis hin zu Konzentrationsschwierigkeiten reichen können. Mit der App kannst Du Symptome täglich erfassen und dadurch selber sehen, wie sie sich entwickeln. Ergänzend kannst du über medizinische Abfragen regelmäßig eine Selbsteinschätzung deiner allgemeinen Beeinträchtigung (EDSS) oder auch Fatigue (MFIS) durchführen.

    Die vier integrierten Tests messen Deine Feinmotorik, kognitiven Fähigkeiten und Deinen Gleichgewichtssinn beim Gehen gemeinsam mit der Geschwindigkeit. Außerdem kannst Du Dich an die Einnahme Deiner Medikamente erinnern lassen und einen neuen Schub eintragen. Die erfassten Daten kannst Du mit Deinem Neurologen teilen, der sie dann innerhalb eines Portals anschauen kann oder Du besprichst sie beim nächsten Besuch. Beides kann Deine Behandlung verbessern da so bereits kleinere Veränderungen erfasst werden.

    Zusätzlich bietet Dir die App Artikel zu verschiedenen Aspekten der MS an. So kannst Du nach und nach zu einem Experten Deiner Erkrankung werden und bewusst Entscheidungen treffen, die einen positiven Einfluss auf die MS haben. Mehr Einblick erhältst Du in Folge 137.

     

    KONECTOM – App zum Überwachen und Messen der MS als Teilstudie, um die Krankheit besser zu verstehen und zu behandeln

    Für Wissenschaftler und behandelnde Neurologen ist es enorm wichtig, die Multiple Sklerose bis ins kleinste Detail zu verstehen. Wie viel Untersuchungen sind nötig? Welche Tests der Feinmotorik, kognitiven Fähigkeiten, des Gleichgewichtssinns und der Gehstrecke machen Sinn? Halten Patienten die wöchentlichen oder gar täglichen Tests über einen längeren Zeitraum durch? Und wie stehen die Testergebnisse mit den Untersuchungen vor Ort in den MS-Zentren in Zusammenhang? Viele Fragen, auf die die Teilstudie aus dem MS-PATH Programm Antworten liefern soll.

    Generell kommt jeder MS-Patient in Frage, der bereits an einem der fünf MS-Zentren an der MS-PATH Studie teilnimmt. Neben dem Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt kannst Du als Teilnehmer besser Deinen MS-Verlauf verfolgen und hast gleich noch einen kleinen Trainingseffekt dabei. Zukünftig soll die App um weitere Funktionen ergänzt werden, wie die Erfassung von passiven Mobilitätsdaten und Aktivitäten, die Google Fit bzw. Apple Heath aufzeichnen. Natürlich nur mit Deiner Zustimmung. Neugierig geworden, dann hör Dir die Folge 138 an.

    Logo der KONECTOM App
     

    MS-Kaffeeklatsch zu digitalen Unterstützungsangeboten

    Gemeinsam mit Nadine und Martin werden wir zu dritt über unsere Erfahrungen, Wünsche und Gedanken rund um das Thema der digitalen Angebote aus Sicht von MS-Patienten sprechen. Folge 139 stellt somit den Abschluss der Themenwoche dar. Wir beleuchten nochmals die verschiedenen Perspektiven auf das Thema digitale Unterstützungsangebote, wie gewohnt in lockerer Atmosphäre . Dabei variieren unsere Erfahrungen mit den digitalen Angeboten, was ganz gut den Kenntnisstand innerhalb der MS-Community widerspiegelt.

    Abschluss

    Das war es zunächst zum Einstieg und Überblick über die kommenden Folgen.

    Es ist das erste Mal, das ich so eine Themenwoche durchführe und ich bin schon sehr gespannt auf Deine Meinung dazu. Was findest Du gut? Was interessiert Dich weniger? Wozu würdest Du Dir eine weitere Themenwoche wünschen? Lass es mich wissen.

    Und zum Schluss noch die Antwort auf eine Frage, die ich meinen Gästen sonst immer stelle: Ich wünsche mir, dass die Behandlung und Prognose für uns MS-Patienten weiter verbessert werden kann dank der digitalen Unterstützungsangebote und das ohne zusätzlich das Gesundheitssystem zu belasten. Mehr Daten, die zu mehr Erkenntnissen führen. Eine bessere und individuell passgenaue Behandlungen, damit das Leben mit MS vor allem ein Anlass zu einer bewussten und gesunden Lebensweise ist und Zukunftsängste beim Erhalten der Diagnose bald der Vergangenheit angehören.

     

    Ich wünsche Dir bestmögliche Gesundheit,
    Nele

    Mehr Informationen rund um das Thema MS erhältst du in meinem kostenlosen MS-Letter.

    Hier findest Du eine Übersicht über alle bisherigen Podcastfolgen.

    #132: Therapietreue – Muss ich nur Medikamente nehmen, wenn die MS aktiv ist?

    #132: Therapietreue – Muss ich nur Medikamente nehmen, wenn die MS aktiv ist?
    Prof. Dr. Mathias Mäurer erklärt, wie die MS funktioniert, wie man sie am besten unter Kontrolle bekommt und wie Therapietreue schützt.
     
    Coverbild zu Therapietreue – Muss ich nur Medikamente nehmen, wenn die MS aktiv ist? | Photo by Daniel Öberg on Unsplash
    Willkommen zu Folge #132 vom MS-Perspektive-Podcast. Heute begrüße ich erneut Prof. Dr. Mathias Mäurer zu Gast im Interview. Wir sprechen über die Bedeutung der verlaufsmodifizierenden Therapie und wie wichtig es ist, seine Therapie auch langfristig so durchzuführen, wie es gedacht ist. Gerade im Social Media Bereich gibt es leider so einige Influencer, die zwar Patienten, aber eben keine Experten auf dem Gebiet der Behandlung von MS sind und Empfehlungen aussprechen, die wissenschaftlich betrachtet kompletter Unfug sind.

    Diese Folge soll helfen, wissenschaftlich basierte Fakten einfach verständlich zu erklären und Dir auf Deinem Weg mit der Erkrankung sinnvolle Tipps mitzugeben.

    Inhaltsverzeichnis

    Begrüßung

    Nele Handwerker: Hallo Herr Professor Mäurer, ich freue mich sehr, dass Sie da sind und heute den Hörerinnen und Hörern noch mal was zum Thema Therapietreue sagen. Muss ich nur Medikamente nehmen, wenn die MS aktiv ist? Danke, dass Sie sich so spontan Zeit genommen haben.

    Prof. Mathias Mäurer: Ja, sehr gerne, Frau Handwerker. Schön, dass ich mal wieder dabei sein darf. Und ich freue mich natürlich auf Ihre Fragen.

    Nele Handwerker: Wer Professor Mäurer nicht kennt, er hat einen Master of Health Business Administration, ist Chefarzt der Neurologie und neurologischen Frührehabilitation am Klinikum Würzburg Mitte, am Standort Juliusspital. Und ich hatte ihn schon mal zu Gast, In Folge 89 hat er sich ein kleines bisschen mehr vorgestellt. Hör gerne noch mal in die Folge rein. Aber kommen wir zu dem, worum es heute geht.

    Porträtfoto von Prof. Dr. Mathias Mäurer zum Beitrag über Lifestylefaktoren bei MS

    Was passiert denn genau im Körper, wenn die MS aktiv ist?

    Prof. Mathias Mäurer: Ja, also letztlich ist der Schub ja an sich das, was die MS ausmacht. Den merkt der Patient und danach richtet sich natürlich so ein bisschen das, wie die MS bewertet wird. Aber im Endeffekt muss man natürlich sagen, was die MS wissenschaftlich ausmacht, ist die Attacke des Immunsystems auf das zentrale Nervensystem.

    Das kann nicht nur im Sinne von Schüben manchmal passieren, sondern wir haben generell eine entzündliche Aktivität, die wir teilweise nur im Kernspintomogramm sehen. Man kann ungefähr rechnen, dass auf einen klinischen Schub circa zehn Läsionen in der Kernspintomographie kommen.

    Das heißt, der Schub alleine ist jetzt kein unbedingt ausreichender Maßstab, um die Aktivitäten der MS zu bewerten, sondern meistens ist es die Kombination aus dem, was klinisch passiert, der Kernspintomographie und dem, wie sich der Patient fühlt. Da werden ja auch teilweise bei uns Screening Methoden gemacht wie die Gehstrecke, das Stäbchen stecken oder auch kognitive Tests, und Fatigue-Skalen, wo man insgesamt bewerten kann, wie aktiv die Erkrankung zum Zeitpunkt ist.

    Nele Handwerker: Hmm, okay. Genau dieses 1:10, das kannte ich auch. Das hatte mich damals auch ein bisschen schockiert, aber auch sofort davon überzeugt, dass ich besser was gegen die MS bei mir unternehmen sollte.

    Wie viel von dieser Aktivität spürt man denn als Patient bewusst im schubförmigen Verlauf?

    Nele Handwerker: Also Sie haben es jetzt schon im Prinzip gesagt und im verborgenen….

    Prof. Mathias Mäurer: Ja, wobei ich, ich kann es gerne auch noch so ein bisschen spezifizieren. Es ist ja tatsächlich so, das zentrale Nervensystem ist groß. Gerade das Gehirn hat natürlich Regionen, wo es Stellen gibt, wo Sie Entzündungen haben können, ohne das jetzt direkt zu merken. Also Sie merken die Entzündung in der Regel meistens nur dann, wenn Sie einen Entzündungsherd in einer eloquenten Region haben. Unter eloquent verstehen wir Regionen, die wirklich klar einer Funktion zugeordnet sind. Also wenn Sie irgendwo in einer motorischen Bahn was haben, dann haben Sie eine Lähmung. Wenn Sie im Sehnerv was haben, sehen Sie nichts. Aber wenn das irgendwo im Parietallappen liegt oder irgendwo periventrikulär , dann müssen Sie nicht unbedingt von einer entzündlichen Aktivität was merken. Es gibt Theorien, dass man sagt, dass vielleicht die Fatigue sozusagen auch so eine Art, ja, Summenmarker für Entzündungsaktivität ist. Also wenn Patienten auch merken, sie fühlen sich irgendwie doch sehr leistungsgemindert, dass es unter Umständen auch ein Zeichen dafür sein kann, dass sich da irgendwas tut. Aber in der Regel können gerade Läsionen im Gehirn selber häufig stumm sein. Im Rückenmark merkt man sie eher, weil da viele wichtige Bahnen eng beieinander liegen. Aber im Gehirn selber ist es manchmal als Patient gar nicht wahrscheinlich, dass man merkt, was da passiert.

    Nele Handwerker: Passt genau zu dem, was ich erlebt habe, auch wenn mein einer Fall nicht statistisch relevant ist. Bevor ich mit einer Therapie begonnen habe, hatte ich mit der Fatigue total Probleme. Nachdem meine Therapie nach drei Monaten gegriffen hat, hat sich zum Glück alles zurückentwickelt. Da geht es auch so ein bisschen um die neurologische Reserve. Das Gehirn hat gewisse Kapazitäten zum Umbauen und wenn die aufgebraucht sind, rutscht man in den chronischen Verlauf.

    Prof. Mathias Mäurer: Genau, die Sache mit der neurologischen Reserve oder Brain Reserve, wie es auch genannt wird, in der Fachliteratur, das ist schon eine ganz, ganz wichtige Sache. Und das muss man sich eben auch vor Augen halten, dass man natürlich als junges Gehirn, und bei vielen MS-Patienten fängt die Erkrankung ja doch in sehr jungen Jahren an, eine extrem große Kompensationsreserve hat. Also man kann vieles was dann passiert, gerade in den jungen Jahren, einfach wegstecken. Und dadurch letztlich zwischen den Schüben überhaupt nichts merken. Man fühlt sich vielleicht bis auf die Fatigue relativ gesund. Es gibt aber sehr schöne Studien. Ich weiß nicht, ob ich die mal schildern darf. Das ist so funktionelle Kernspintomographie, wo man letztlich sehen kann, wie viel Hirn muss eigentlich jemand aktivieren, um eine bestimmte Aufgabe durchzuführen. Da gibt es sehr schöne Untersuchungen.

    Bei einem Gesunden, wenn der eine Bewegung macht, dass Finger so hin und her tappen, da wird im Prinzip nur der motorische Cortex und ein paar prämotorische Areale aktiviert. Wenn das gleiche ein MS-Patient macht und der muss überhaupt nicht irgendwie im Bereich der Handfunktion betroffen sein, das reicht, wenn es jemand war, der eine Sehnervenentzündung hatte und vielleicht ein paar entzündliche Flecken, dann sieht man, dass der für die selbe Motoraufgabe letztlich viel mehr Hirnsystem aktivieren muss. Das heißt, der nutzt schon viel mehr von seiner Reserve um das gleiche auszuführen.

    Ich vergleiche das immer mit so einem Motor, der letztlich viel, viel höher dreht als der Motor von einem Gesunden. Und genauso wie beim Auto, wenn Sie das lange machen, dann haben Sie irgendwann einen Motorschaden. Und das ist es, was bei der MS passieren kann. Wenn sie lange immer wieder ihre Kompensationsfähigkeit belasten, ist sie irgendwann aufgebraucht. Und in dem Moment merkt man die MS dauerhaft. Und das ist häufig, aber erst im mittleren Lebensalter der Fall. Sprich, derjenige, der die MS früh bekommt und seine Reserve aufbraucht, weil er halt sonst nichts machen möchte, der wird nach einer gewissen Zeit in Schwierigkeiten laufen.

    Jetzt ist mir auch ganz wichtig, ich möchte nicht mit Ketten rasseln, weil das immer ein bisschen doof ist, wenn man mit irgendwelchen Konsequenzen droht. Nicht jede MS ist gleich und das heißt nicht bei jedem, wenn er jetzt, sagen wir mal, therapeutisch komplett ablehnend ist, dass das gleich im Desaster landen muss. Aber es gibt halt, sagen wir mal, vielleicht so prozentual allenfalls 20 bis 30 %, die auch da Glück haben mit der Erkrankung. Bei der überwiegenden Mehrzahl läuft es halt doch so, wie ich es sage, ja, dass man eben unter Umständen in Probleme reinläuft, wenn man das System zu sehr stresst.

    Nele Handwerker: Und das ist dann schon arg, quasi Roulette spielen mit der eigenen Gesundheit.

    Jetzt kommen wir mal zur Kortison-Stoßtherapie. Ich habe oft genug von Leuten gehört, die denken, dass es ganz wichtig ist, super hilft, und auch die Langzeitprognose positiv beeinflusst.

    Verkürzt die Kortison-Stoßtherapie vor allem die Dauer eines Schubes oder hat sie einen Einfluss auf die Langzeitprognose?

    Prof. Mathias Mäurer: Es gibt keine verlässlichen Studien, die irgendwie zeigen, dass Kortison an der Langzeitprognose der Multiplen Sklerose was macht. Das hat sich nie in Studien wirklich beweisen lassen. Es ist noch nicht mal so, dass man jetzt unbedingt sagen kann, dass Kortison auch im Schub irgendwas macht.

    Es gibt sogar Arbeiten, also im Tiermodell, die zeigen, dass Kortison schädlich sein kann bei einer Opticus Novartis. Wir gehen davon aus, dass Kortison schon in der Lage ist, gerade hoch dosiert, bestimmte Entzündungszellen in den programmierten Zelltod zu schicken. Also dass die Entzündungszellen Selbstmord begehen, und dass dieser Selbstmord, relativ positiv ist für die Entwicklung des Schubes. Aber eben nur als Akutmaßnahme und sicherlich nicht als Langfrist-Maßnahme.

    Ich weiß, dass viele Patienten auf diese wiederholten Kortisonstöße schwören, gerade auch in späteren Krankheitsphasen. Das hat aber unter Umständen damit zu tun, dass Kortison auch ein bisschen euphorisierend wirkt, dass es anti-spastisch wirkt und dass es natürlich so einen doch kurzen Effekt hat, das man sich besser fühlt.

    Aber diese langfristigen Effekte, die manche auch propagieren, die sind wirklich nie bewiesen worden. Also man kann das Kortison, und das machen wir ja auch im akuten Schub, natürlich einsetzen und das ist auch eine wichtige therapeutische Maßnahme, aber für die Langzeitprognose der Erkrankung und für den Langzeitverlauf zählt eigentlich nur die immunmodulatorische Therapie und da zählt das Kortison gar nicht dazu. Weder als Hochdosis und schon gar nicht als orale Dauertherapie. Auch diese Meinung ist manchmal noch anzutreffen und da schlage ich immer die Hände über dem Kopf zusammen. Weil das, was wir bei der MS machen, das funktioniert ja auch nur bei diesen wirklich sehr, sehr hohen Dosen.

    Kortison niedrig dosiert, da nimmt man nur die Nebenwirkungen mit und hat eigentlich diesen Vorteil, dass man Entzündungszellen in den programmierten Zelltod schickt überhaupt nicht. Da braucht man Hochdosis-Konzepte dafür und nicht diese niedrig dosierten oralen Konzepte. Also ich würde ganz klar propagieren Kortison bitte aus der Liste der Langzeitprophylaxen komplett streichen. Das ist eine Schubtherapie.

    Nele Handwerker: Ja. So hatte ich es auch verstanden. Aber Ihre Erläuterungen dazu sind nochmal sehr wertvoll.

    Gibt es einen Unterschied was die Langzeitprognose angeht, bei der Blutwäsche?

    Nele Handwerker: Wenn man die vornimmt, ist da schon irgendwas klar? So lange wird die Blutwäsche ja noch nicht eingesetzt.

    Prof. Mathias Mäurer: Ja, also das ist gar nicht so einfach zu beantworten die Frage. Es gibt natürlich bestimmte MS-Pathologien, wo auch Antikörper eine Rolle spielen. Das kann man aber im Moment jetzt noch nicht unbedingt von außen festlegen. Deswegen ist es so, die Blutwäsche spielt dann eine Rolle, wenn die Kortisontherapie in einem Schub keine deutliche Verbesserung bringt. Das Schema ist ja so, dass man erst mal einen Kortisonstoß geben soll. Wenn das nicht zu einer Verbesserung führt, dann kann man so nach ein zwei Wochen entweder den Steroidschuss wiederholen oder alternativ die Blutwäsche einsetzen.

    Und wenn man da sehr gute Erfolge dann hat, dann ist es unter Umständen auch bei den nächsten Schüben sinnvoll man fängt gleich mit der Blutwäsche an, weil dann scheinbar die Antikörperpathologie im akuten Schub eine größere Rolle spielt als die T-Zell-Pathologie.

    Wahrscheinlich ist es bei jedem irgendwo eine Mischung sein. Aber vermutlich gibt es individuell Unterschiede, wie viel Anteil pathologische Antikörper im Schub haben, um eine Funktionsstörung hervorzurufen und wie viele Anteile die zelluläre Immunität hat. Das ist dann leider ein bisschen Versuch und Irrtum.

    Man kann nicht von außen vorhersagen, wer auf was besser anspricht. Deswegen ist es zumindest bei den ersten schweren Schüben immer Versuch und Irrtum. Aber da die Blutwäsche ein bisschen invasiver ist als die Kortisongabe, man braucht ja in der Regel einen sehr großvolumigen Katheter in der Jugularvene, das ist nicht so angenehm, wird man das nicht bei milder Schubsymptomatik machen.

    Das sind Maßnahmen, die für schwere Schübe mit Erblindung, mit schwerer motorischer Störung, mit einer schweren Gleichgewichtsstörung vorbehalten sind. Wenn es nur kribbelt, verzichtet man auf Blutwäsche. Das wissen vielleicht auch viele Zuhörer, so ein sensibler Schub, der kann manchmal hartnäckig sein und länger dauern, bis er wirklich komplett weggeht. Kortison ist k eine Garantie dafür, dass das Kribbeln weggeht. Da muss man manchmal ein bisschen Geduld haben.

    Denn wir müssen immer Nutzen und Risiko gegeneinander abwägen, auch in der Schubtherapie. Deswegen die Blutwäsche hat eine wichtige Bedeutung, vor allen Dingen eben bei schweren Schüben, wenn das mit dem Kortison nicht so klappt, wie man es sich wünscht.

    Nele Handwerker: Ja, so war es bei mir auch. Ich hatte vor Therapiebeginn einen Sensibilitätsschub. Da wurde nichts gemacht, sondern einfach gesagt, okay, jetzt bitte die verlaufsmodifizierende Therapie beginnen, weil beim Abwägen von Nutzen und Risiko, entschwieden wurde auf Kortison zu verzichten. Und die Blutwäsche habe ich zum Glück bisher noch nicht benötigt. Meine Therapie wirkt.

    Prof. Mathias Mäurer: Ja, das ist tatsächlich eine Methode, die eher seltener angewandt wird auf die Gesamtzahl von Schüben. Wie gesagt, die meisten Schübe der MS sind ja so, dass man sie unter Kontrolle kriegt. Und häufig haben sie nicht so ein ganz extremes Ausmaß.

    Nele Handwerker: Ja, zum Glück.

    Jetzt haben Sie schon die verlaufsmodifizierende Therapie angesprochen.

    Können Sie bitte erklären, was man genau mit der verlaufsmodifizierenden Therapie erreichen will? Und wie sie wirkt?

    Prof. Mathias Mäurer: Na ja, alle verlaufsmodifizierenden Therapien, also die ganze Palette von, ich glaube, jetzt mehr als 17 Medikamenten, die wir haben, sind Medikamente, die versuchen das Immunsystem ein wenig zu unterdrücken. Also MS ist ja eine Erkrankung, wo kein Immundefekt vorliegt, im Gegenteil, MS-Patienten haben eher ein Immunsystem, was ein bisschen zu gut funktioniert. Und alle diese Medikamente versuchen dieses etwas zu gut funktionieren wegzunehmen, die Spitzen wegzunehmen, und dennoch die normale Immunfunktion zu erhalten. Das Prinzip ist letztlich bei allen das Gleiche, das Immunsystem auf irgendeine Art und Weise zu beruhigen. Und da gibt es verschiedene Strategien. Unterschiedliche Wirkstoffklassen haben unterschiedliche Ansätze. Grundsätzlich ist es so, dass man versucht, diese Überaktivität des Immunsystems langfristig runterzufahren. Und das ist genau das, was dabei hilft, dass es nicht zu Attacken auf das zentrale Nervensystem kommt und das auch die subklinische Krankheitsaktivität unterbunden wird, die man vielleicht als Patient gar nicht merkt. Letztlich geht es langfristig darum, Entzündungsaktivität, egal ob das jetzt Schübe sind oder neue MRT-Läsionen möglichst effizient zu unterdrücken.

    Nele Handwerker: Und damit auch die neurologische Reserve zu schonen, damit es dann bitte nie in den chronischen Verlauf übergeht.

    Prof. Mathias Mäurer: Genau, Sie können jetzt nämlich eigentlich fragen, ja, was bringt mir das, wenn ich jetzt selten Schübe habe und vielleicht auch gar nicht so viele MRT-Läsionen, ist das dann wirklich sinnvoll, so was auch zu machen? Das Problem ist, dass wir mittlerweile ganz gut wissen, dass diese Entzündungseinwirkungen auf das Gehirn auch am Hirngewebe selber wahrscheinlich irgendeine Art von, ich sage mal, Sollwertverstellung macht. Also irgendwie wissen wir, dass wohl die ortständigen Entzündungszellen im Gehirn anfangen überzureagieren. Und dass es dann sogar unabhängig von Schüben, die ja von außen, also im peripheren Immunsystem getriggert werden, auch im Hirn selber eben gewisse Veränderungen des ortständigen Immunsystems gibt. Wir haben vor allen Mikrogliazellen im Verdacht, dass sind so ortständige antigenpräsentierende Zellen, Unterstützungszellen für Entzündungszellen, dass die anfangen so ein bisschen durchzudrehen. Und die drehen umso mehr durch, je mehr man letztlich auch Entzündungsreaktionen hat einwirken lassen. Man hat im Moment schon die Ahnung, dass das wahrscheinlich bereits mit Beginn der Erkrankung losgeht, diese Gefahr, dass man so eine, ja, wir nennen das Entzündung im Hirnkompartement selber bekommt.

    Deswegen bin ich ein Freund davon, auch wenn das sich am Anfang vielleicht harmlos anlässt, so eine MS, von Anfang an wirklich sehr, sehr konsequent zu therapieren, weil die Konsequenzen wahrscheinlich noch umfangreicher sind, als wir bisher gedacht hatten. Und der Nutzen, den man gerade früh erreichen kann, der scheint noch größer zu sein, als wir bisher gedacht haben. Ich bin wirklich dafür, von Anfang an Therapien zu empfehlen. Und dieses ‚Watch and Wait‘ ist nicht mein Ding, ja, weil ich einfach die MS doch als ernsthafte Bedrohung für die langfristige Gesundheit sehe.

    Nele Handwerker: Ich auch. Und diese Aufklärung, wie sie es gerade machen, ist mit ein Grund, warum ich diesen Podcast mache.

    Prof. Mathias Mäurer: Wie gesagt, am Anfang wird das alles gut weggesteckt. Am Anfang ist das kein Problem. Da tut man die paar Schübe, die paar Entzündungsläsionen mit seiner Hirnreserve relativ gut kompensieren, also ungeschehen machen. Aber man verbraucht natürlich einen Kredit. Und das halte ich für sehr gefährlich.

    Deswegen ist mein Ansatz, bei allem, sagen wir mal Verständnis, dass man natürlich als junger Mensch nicht unbedingt dauerhaft Medikamente nehmen will oder dass man auch Angst hat, sich da irgendwie zu belasten oder unnötige Nebenwirkungen einzukaufen, dass man eben nicht vergessen soll, dass dagegen durchaus eine Bedrohung von einer Erkrankung steht, die einem im Laufe des Lebens einfach Ärger machen kann. Und man ist ja nicht immer 20.

    Also ich kann es jetzt sagen, man möchte auch mit Mitte 50 noch ein gutes Leben haben. Und nicht unbedingt an irgendwelchen Symptomen leiden, auch wenn es nur Kleinigkeiten sind. Auch eine Blasenstörung kann einem das Leben vermiesen zu dem Zeitpunkt. Und wenn eine Chance hat, das zu unterdrücken, dann würde ich die nehmen und würde mich nicht auf irgendein Achtsamkeitsgeschwurbel einlassen, dass man auf die Therapie auch verzichten kann und dass man selber entscheiden kann.

    Natürlich kann man selber entscheiden, was man macht, aber bitte auf einer Wissensbasis entscheiden und nicht auf irgendeinem Blödsinn, der verbreitet wird. Oder was, was man sich vielleicht selber ausdenkt oder sich von irgendwelchen Influencern im Internet abgeguckt hat. Bitte mal die Fachliteratur lesen. Ich bin total liberal, wenn ich merke, der Patient hat sich sorgfältig informiert und trifft die Entscheidung wirklich auf einer informierten Basis. Da gehe ich mit. Weil letztlich jeder für sich selber entscheiden muss. Aber wo ich echt aggressiv werde ist, wenn man mir irgend so einen Scheiß erzählt, der überhaupt keinerlei Entsprechung hat in dem, was wir wissenschaftlich im Moment wissen. Irgendein Mist, der so mit Allgemeinplätzen und, ja, ich sag mal, Wellness-Blabla bestückt ist. Also da kann ich überhaupt nicht mit.

    Nele Handwerker: Ja, das habe ich ja auch schon zum Teil angesprochen. Es ist eine Sache, wenn man wissend, sehenden Auges da reinläuft und sagt, ich kann damit leben, dass ich irgendwann mal chronisch belastet sein könnte.

    Prof. Mathias Mäurer: Oder auch sagt, ich gehe das Risiko ein. Das ist in Ordnung. Aber nicht praktisch mit so einer kompletten Beschränktheit. Also dann erwarte ich schon, wenn man sagt, ich stehe für mich selber ein, dass ich mich dann auch anständig informiert habe. Und anständig informieren heißt eben auch nicht irgendeinem, sagen wir mal, Laien auf den Leim gehen, sondern sich wirklich bei denen informieren, die auch ein bisschen Ahnung haben von dem Thema.

    Nele Handwerker: Ja, übrigens, was Sie angesprochen haben, ist ja diese ‚Hit Hard and Early‘-Strategie. Für dich da draußen, falls du es noch nicht kennst. Dazu hatte ich eine Folge mit Professor Schwab aufgenommen. Er erklärt darin sehr schön, warum man zeitig mit einer hochwirksamen Therapie einsteigen sollte und das ganze Drumherum.

    Und ich hatte jetzt neulich erst von einem guten amerikanischen Podcast gehört, dass die eine Studie in Schweden durchgeführt wurde, wo Daten mit Dänemark verglichen wurden. Ähnliche Gesundheitssysteme und Rahmenbedingungen, und wer zeitig und stark einsteigt…

    Prof. Mathias Mäurer: Ja das ist eine sehr, sehr, sehr spannende Geschichte der skandinavischen Register, die sind ja sehr, sehr gut. Da wird jeder Patient auch sehr sorgfältig eingeschlossen, also die Datenqualität ist super. Und es ist tatsächlich so, dass die Schweden wesentlich aggressiver therapieren als der Rest von Europa. Die haben halt Rituximab für sich entdeckt, also so eine B-Zellen depletierende Therapie, die wird da auch staatlich unterstützt, dass man sie gibt. Und da ist ein sehr, sehr hoher Prozentsatz der schwedischen MS-Patienten, die Rituximab kriegen.

    Ich glaube, um die 34 %, wohingegen in Dänemark mit so einer Therapie nur in knapp 7 % der Fälle begonnen wird. Und wenn man die Dänen und die Schweden einfach so nebeneinander laufen lässt ge-machted, dann haben die Schweden ein wesentlich niedrigeres Progressionsrisiko als die Dänen. Und das ist echt eine gut gemachte Studie. Die finde ich auch von der Anzahl her gut. Es wurde eine hohe Anzahl an Patienten eingeschlossen. Bei anderen Studien gab es immer die Kritik, das sind viel zu wenig Patienten, die ihr da aus den Registern rauszieht, aber bei diesen beiden Registern, das sind schon so knapp 2000 Datensätze, die man miteinander vergleichen kann, das ist schon ein Wort. Und dementsprechend verhärtet sich die Theorie, dass eine konsequente Therapie gleich am Anfang wirklich Sinn macht.

    Was bedeutet denn genau Therapietreue?

    Prof. Mathias Mäurer: Ja, also sagen wir mal, man kann das wissenschaftlich als sogenannte Medikation Procession Rate ausdrücken. Praktisch bedeutet es, dass man einfach die eingenommene Medikation mit den Tagen abgleicht, wo sie hätte eingenommen werden sollen. Man sagt eine gute Therapietreue ist, wenn 80 % der Medikation genommen wurde. Mehr wäre wünschenswert, aber man weiß ja, wie das Leben so ist, dass man das nicht immer auf die Reihe kriegt ein Medikament regelmäßig zu nehmen. Und dementsprechend sind wir mit 80 % schon ganz zufrieden.

    Aber man weiß auch, wenn der Wert unter 80 % fällt, dann kriegt man nicht mehr die volle Wirkung des Medikamentes. Also Therapietreue ist schon ein ganz entscheidender Punkt, weil Medikamente, die nicht genommen werden können nicht wirken. Und natürlich ist es dann auch entscheidend, was habe ich für eine ‚Burden of Therapy‘, also eine Therapiebelastung habe. Die steht immer dagegen. Deswegen sind wir durchaus begeistert von Medikamenten, die nur relativ selten gegeben werden müssen. Wo man eventuell mit halbjährlichen Infusionen oder eben auch mit Tabletteneinnahmen zweimal im Jahr gute Ergebnisse erzielt. Denn da hat man meistens eine sehr hohe Adherenz.

    Ich bin mir manchmal nicht so sicher, ob Tysabri auch gerade deswegen so ein Knaller war als Medikament ist, weil es eben immer von Ärzten gegeben wurde. Schließlich hat man die Patienten somit immer voll unter Kontrolle. Und da war die Therapietreue natürlich wahnsinnig hoch.

    Wohingegen wir wissen, dass zum Beispiel Interferon, was ja auch unangenehm zu nehmen ist, manchmal nur so eine Medikation Possession Rate von um die 40 % hat. Und da können Sie natürlich die Wirkung vergessen. Also von daher Adhärenz, ist ganz wesentlich.

    Natürlich entdecke ich manchmal auch dieses Schema. Ich gehe immer davon aus, dass ein Patient sich bemüht, die Medikamenteneinnahme ganz gut zu machen. Dennoch frage ich auch immer nach, ob man es geschafft hat, das einzuhalten. Ich gehe gar nicht davon aus, dass das regelmäßig ist. Jemand, der mir sagt, ich habe es immer genommen, dem glaube ich sowieso nicht, weil das geht nicht. Geht mir auch selber so, ich versage schon bei Antibiotika, die regelmäßig einzunehmen, was ja wirklich wichtig ist und kurz.

    Von daher fragt man eher, wie viel haben Sie jetzt versäumt oder hat es ganz gut geklappt oder nicht? Und ja, das ist letztlich schon ein wesentlicher Punkt mit der Therapietreue, dass man verhindert, dass dann so Schemata aufkommen wie, ich nehme das nur, wenn es mir schlecht geht. Also wenn man so was entdeckt, dann muss man noch mal ernsthaft miteinander reden, dass das so nicht gedacht ist. Und man kann ja auch über alles reden.

    Wenn das Schema wirklich zu anstrengend ist für jemanden durchzusetzen, dann muss man schauen, was noch an Alternativen möglich ist. Es gibt ja durchaus die Möglichkeit zu einer individualisierten Therapie, eben weil wir so viele Präparate haben. Irgendwas wird man finden, was mit dem persönlichen Leben gut vereinbar ist. Aber dieses, ich mach das mal so zwischendurch, wenn es mir nicht so gut geht oder mal nach einem Schub, das geht am Ziel vorbei.

    Nele Handwerker: Ja, da bin ich doch froh, dass meine Eltern mir klare Linie beigebracht haben. Ich musste mein Medikament die ersten Jahre siebenmal die Woche spritzen, irgendwann wurde das Präparat angepasst und seitdem muss ich mir nur noch dreimal die Woche spritzen. Und ja, ich habe mir dann mal zum Geburtstag frei gegeben oder zu Weihnachten. Aber ansonsten, wenn es ging, nachgeholt.

    Prof. Mathias Mäurer: Da habe ich auch ganz hohen Respekt, wenn das jemand so durchzieht. Ich finde das schon bewundernswert und ich kann mir vorstellen, dass das schwierig ist. Deswegen, versuche ich meine Patienten immer zu ermuntern, dass sie klar sagen, was sie meinen zu schaffen und was eben nicht. Grundsätzlich ist das, wie wir eben besprochen haben, mit der Therapietreue eine ganz, ganz wesentliche Sache, um auch Therapieerfolge zu erzielen.

    Und ich finde, jeder Patient hat das Recht zu sagen, ja, das schaffe ich oder das schaffe ich nicht. Es macht ja keiner mir zuliebe. Davon sollte man sich lösen. Mir tut niemand einen Gefallen damit, wenn er seine Medikamente regelmäßig einnimmt. So erwachsen muss man sein, dass man sagt, das ist letztlich für mich. Ich bin nur dafür da, um zu helfen, wie man es möglichst optimal hinbekommt.

    Welche medizinisch sinnvollen Gründe gibt es, eine verlaufsmodifizierende Therapie zu wechseln oder gar auszusetzen?

    Nele Handwerker: Es gibt ja bestimmt welche, wo Sie sagen, das ist okay an der Stelle.

    Prof. Mathias Mäurer: Na ja, wir haben über den Convenience-Aspekt gesprochen. Da darf man natürlich wechseln. Man darf wechseln oder man soll sogar wechseln, wenn das Medikament nicht das macht, was es tun soll. Man darf natürlich auch wechseln, wenn irgendwie Nebenwirkungen nicht beherrschbar sind. Das sind alles Gründe. Und natürlich darf man auch das Absetzen mal ins Feld führen.

    Wir haben da auch von den Leitlinien schon eine klare Vorstellung, wo man sagen kann, hier kann ich auf ein Medikament verzichten. Also wenn tatsächlich jemand über Jahrzehnte mit einer Basistherapie komplett stabil war und auch nach den initialen Schüben nichts mehr gekommen ist, kann man selbstverständlich auch mit dem Patienten, wenn es dann schon ein höheres Lebensalter ist, über 45, besprechen, dass man es absetzt. Es gibt die Leitlinien die sagen, nach fünf Jahren mit einer moderat wirksamen Therapie kann man darüber sprechen. Ich habe viele gesehen, die dann doch wieder Schübe bekommen haben. Von daher, bin ich da etwas vorsichtiger, auch bei den moderat wirksamen und würde sagen, eigentlich sollte man vor dem 45. Lebensjahr die Diskussion nicht unbedingt beginnen.

    Aber wenn es in diese Altersklasse geht und die MS war lange stabil und es war jetzt auch keine allzu schwere Verlaufsform, dann kann man darüber reden. Ein bisschen anders ist es bei den hochaktiven Patienten, die von Anfang an eine sehr hohe Krankheitlast gehabt haben, die man nur mit sehr hochwirksamen Medikamenten still bekommt. Da wäre ich insgesamt sehr, sehr zurückhaltend überhaupt abzusetzen, weil das häufig in die Hose geht. Letztlich muss man sich ja auch vor Augen halten, wenn so eine MS stabil ist, die einen als chronische Erkrankung begleitet über zumindest das mittlere Lebensalter, dann hat man genau das erreicht, was man will. Und dann ist das Absetzen zwar ein verständlicher Wunsch, aber eigentlich hat man wahrscheinlich nur durch das Medikament diese Situation erreicht und dementsprechend sollte man es beibehalten. Also ich bin immer so ein bisschen zurückhaltend, aber klar, man kann auch Absetzen besprechen unter bestimmten Voraussetzungen.

    Nele Handwerker: Also ich kann dazu nur sagen, bei mir war die MS auch lange stabil und ich nutze quasi Medikamentenklasse 1, Basismedikation. In der Schwangerschaft habe ich anderthalb Jahre ausgesetzt und ich hatte nach der Geburt auch eine kleine sensitive Störung und habe meine Therapie dann wieder fortgesetzt. Nun habe ich noch nicht die 45 erreicht. Dreieinhalb Jahre habe ich noch bis dahin. Aber ich persönlich rechne im Moment auch damit, dass ich das bis an mein Lebensende nehme. Und hoffe dann darauf, dass ich dank funktionierender Therapie und gesunder Lebensweise mit 80 Jahren fitter bin als meine Klassenkameraden, die über die Stränge geschlagen haben. Das ist meine Hoffnung.

    Welche Therapieoptionen haben Frauen mit Kinderwunsch, die eine aktive MS haben?

    Nele Handwerker: Denn da kenne ich mich wirklich nicht aus. Gibt es da Möglichkeiten von den hochwirksamen Medikamenten oder macht es Sinn zumindest auf eine weniger wirksame Therapie zu wechseln? Wie verträgt sich das?

    Prof. Mathias Mäurer: Genau, man muss da ein bisschen unterscheiden. Also in der Regel ist es so, man sollte stabil in eine Schwangerschaft reingehen, weil man weiß, da ist eine ganz gute Korrelation zwischen der Schubhäufigkeit vor Beginn der Schwangerschaft und dem, was man nach Entbindung zu erwarten hat, wo ja manchmal die Schubhäufigkeit auch etwas steigt.

    Also wenn man stabil reingeht, ist die Chance, dass man auch stabil rauskommt aus der Schwangerschaft ziemlich gut. Und jetzt muss man unterscheiden, es gibt ja wie gesagt auch moderate MS-Formen, die jetzt gar nicht so eine hohe Entzündungsaktivität haben. Bei denen ist die Schwangerschaft meistens auch ausreichend, um die Medikation zu ersetzen, weil die Schwangerschaft per se ja auch ein bisschen immunsublimierend wirkt. Man muss ja das Kind tolerieren, was ja zur Hälfte vom Vater ist, deswegen reguliert sich das Immunsystem selber runter. Und das führt auch dazu, dass man eben mit zunehmender Schwangerschaft immer weniger Schübe bekommt. Man holt das dann zwar statistisch wieder auf in der Perinatalphase. Aber grundsätzlich, wenn man eine moderate MS hat, kann man eigentlich bis zum Eintritt der Schwangerschaft so ein Medikament nehmen und dann setzen es viele ab und das funktioniert mit der Schwangerschaft ganz gut.

    Ein bisschen anders ist es, wenn man eine sehr hoch aktive MS hat, die nur mit hoch aktiven Medikamenten stabil ist. Zum Beispiel die Frauen, die unter Tysabri sind, das sind ja meistens Frauen, die eine sehr hochaktive MS haben, denen empfehlen wir heutzutage, das Tysabri auch über die Schwangerschaft zu nehmen. Nur kurz vor Entbindung sollte es abgesetzt werden, um danach gleich wieder zu starten. Auch bei Therapien wie Ocrelizumab, die alle halbe Jahr gegeben werden, kann man eigentlich die Schwangerschaft ganz gut mit den Infusionen planen. Man kann letztlich die Schutzwirkung, die man durch diese zyklischen Infusionen hat, so ausnutzen, dass man auch in der Schwangerschaft noch ganz gut protegiert ist. Auch da haben wir mittlerweile ganz gute Konzepte.

    Nele Handwerker: Super. Schön.

    Prof. Mathias Mäurer: Deswegen einfach den Neurologen fragen, wie man da in der individuellen Phase mit Kinderwunsch verfahren kann. Aber unsere Maßgabe ist, wir wollen natürlich jeder Frau, auch mit MS, eine ganz normale Schwangerschaft ermöglichen und natürlich auch ihren Kinderwunsch absolut realisieren lassen. Das war ja früher furchtbar mit den ganzen Verboten, die es da gab. Und ich möchte nicht wissen, wie viele Schicksale da zerstört worden sind mit komplett falschen Empfehlungen. Wir versuchen heute alles möglich zu machen, aber man sollte halt vorher drüber sprechen, wie man das am besten realisiert.

    Nele Handwerker: Okay, super. Das heißt, es gibt Medikamente, die kann man nehmen. Das finde ich sehr schön.

    Was passiert denn, wenn ich eine aktive MS mit einer verlaufsmodifizierenden Therapie zum Stillstand gebracht habe und denke, jetzt ist alles gut und jetzt setze ich die Medikamente ab?

    Nele Handwerker: Das lese ich leider immer mal wieder, auch bei Social Media. So nach dem Motto, jetzt ist es super und jetzt kann ich endlich wieder auf diese, in Anführungsstrichen, bösen Medikamente verzichten.

    Prof. Mathias Mäurer: Na ja, die Krankheitsaktivität wird wiederkommen. Das kann, wie gesagt, bei einer moderaten MS auch klappen, dass man nicht unbedingt sofort irgendwas bekommt oder dass es lange dauert.

    Obwohl, wenn man so in Studien guckt, auch Absetzstudien mit Interferonen, merkt man schon, dass eben die Gruppe, die abgesetzt hat, schlechter läuft. Also zumindest im statistischen Mittel. Im Einzelfall kann es natürlich klappen, genauso wie es im Einzelfall auch ziemlich in die Hose gehen kann.

    mit Einzelfällen kann man sowieso nichts entscheiden. Es wird immer jemanden geben, der sagt, bei mir hat das ganz gut geklappt, aber das kann man eben nicht auf die Allgemeinheit ausrollen.

    Wenn man aber eine hochaktive Therapie oder eine hochwirksame Therapie stoppt, da kann man ziemlich auf die Nase fallen. An der Stelle sei gesagt, zum Beispiel Patientinnen, die auf Fingolimod sind oder auf den S1P-Modulatoren, wenn die absetzen, die machen halt gerne mal einen Rebound, also das er dann so richtig zuschlägt der Schub. Auch bei Tysabri hat man häufig eine Wiederkehr der Krankheitsaktivität und Rebound-Phänomene. Das Absetzen sollte man in der Tat mit seinem Neurologen sehr gut besprechen und zusammen durchsprechen, wie das persönliche Risiko ist, zumindest statistisch, wenn ich jetzt das Medikament weglasse? Wie gesagt, ich habe teilweise auch diese Beiträge im Internet gesehen. Da gruselt es mir natürlich ein bisschen. Das sind einfach ziemlich dämliche Empfehlungen.

    Welche Risiken sind mit einem wiederholten Wechsel von Therapie und Therapieabbruch verbunden?

    Nele Handwerker: Also ich mache jetzt Therapie, weil ich einen Schub hatte und sobald die Aktivität gestoppt ist, höre ich wieder auf damit. Anstatt dankbar zu sein und das weiter zu nutzen, höre ich auf und spiele dieses Ping Pong Spiel.

    Prof. Mathias Mäurer: Na ja, zum einen gibt es tatsächlich Medikamente, dazu gehören die S1P-Modulatoren, so First Dose Effekte. Das heißt, man bringt sich dann natürlich mit so einem On/Off-Schema auch immer wieder in eine blöde Situation, weil man halt diese First Dose Effekte als Nebenwirkung mitnimmt. Das ist nicht besonders klug bei solchen Medikamenten. Dann ist es natürlich auch so, Medikamente müssen sich auf ein gewisses Steady State einpendeln. Die meisten Basismedikamente zum Beispiel, die brauchen eine gewisse Zeit, bis sie die volle Wirksamkeit entfalten. Also wenn man diese Medikamente drei Monate nimmt, dann absetzt, dann irgendwann mal wieder drei Monate nimmt, dann wird man nie den Effekt haben, den man eigentlich versprochen bekommt durch das Medikament.

    Deswegen sollte man es so nehmen, wie es auch im Beipackzettel drinsteht. Das haben wir ja am Anfang schon durchgegangen, es geht um eine Art Prophylaxe. Das ist nichts, was die akute Entzündung bremst. Sondern diese Medikamente sind dafür da, um für die Zukunft weniger Entzündungslast auf das Hirn einwirken zu lassen. Das heißt, diese Medikamente sind wie eine Versicherung. Ist ja auch nicht so, dass sie ständig Ihre Reiseversicherung kündigen, wenn sie mal gerade nicht im Urlaub sind. Das macht man ja auch nicht. Man lässt sie weiterlaufen. Und so muss man das auch bei den MS-Medikamenten betrachten. Das ist eine Art Versicherung, die lässt man einfach laufen und freut sich, wenn das gut funktioniert. Und wenn es nicht gut funktioniert, dann kann man nach Alternativen suchen. Und nicht funktionieren können eine mangelnde Wirksamkeit oder zu viele Nebenwirkungen sein. Aber eben keine, aus meiner Sicht, eigenen Ideen verwirklichen.

    Nele Handwerker: Ja, das bitte für den kreativen Bereich lassen, nicht für die medizinische Behandlung.

    Prof. Mathias Mäurer: Genau. Nicht kreativ werden mit den Medikamenten. Also, das sage ich auch ärztlichen Kollegen. Das ist auch manchmal so der Fall, dass man sich dann irgendwelche Schemata ausdenkt. Bitte nicht.

    Welcher Prognose sehen Menschen entgegen, die die MS mit, in Anführungsstrichen, nur einer gesunden Lebensweise eindämmen wollen?

    Prof. Mathias Mäurer: Ich glaube, das wird nicht funktionieren. Also ich habe überhaupt nichts gegen natürlich diese supportiven Konzepte, gesunde Lebensweise, Achtsamkeit, viel Sport, auch wegen mir, alles mögliche Komplementäre, wenn es guttut, geschenkt. Aber bitte immer als zusätzliches Konzept. Die Basistherapie für jede MS ist, dass man das Immunsystem in seiner Wirksamkeit bremst, in seiner Auswirkung. Und dem Immunsystem ist ziemlich egal, wie sie sich ernähren. Also das ist vielleicht jetzt ein bisschen vollmundig ausgedrückt. Es gibt natürlich schon so gewisse Ideen, was jetzt dem Immunsystem besser und schlechter gefällt, aber sie brauchen da keine speziellen Diäten. Es reicht einfach, wenn man gesunden Menschenverstand walten lässt und eigentlich den Gesundheitsempfehlungen folgt, die eigentlich für alles gelten, wenn man im Leben gut zurechtkommen will. Das ist auch als MS-Patient absolut ausreichend. Aber wie gesagt, wenn jemand Spaß an bestimmten Diäten hat, Spaß an bestimmten Nahrungsergänzungsmitteln, solange es nicht gefährlich ist, ist das von meiner Seite aus kein Problem. Aber wie gesagt, bitte mit einer vernünftigen Immuntherapie, angepasst an den Schweregrad der Erkrankung.

    Nele Handwerker: Und eine gegensätzliche Frage:

    Wie sieht die Prognose von MS-Patienten aus, die eine wirksame Therapie nutzen, wo wirklich die Aktivität komplett unterdrückt wird, auch im subklinischen Bereich?

    Nele Handwerker: Wo auch die MRTs, keine Aktivität zeigen, möglichst noch ergänzt durch einen gesunden Lebenswandel.

    Prof. Mathias Mäurer: Ich glaube, dass es denen langfristig wahrscheinlich besser gehen wird. Ich meine auch das kann man jetzt individuell nicht für jeden sagen, weil es gibt in der Tat auch wirklich schon sehr, sehr aggressive Verläufe, wo man auch manchmal der Erkrankung bei bestem Willen auch als Arzt so ein bisschen hinterherläuft. Aber ich sage mal, mit einer normalen MS, die vernünftig behandelt ist, erzielen wir schon heute doch ganz gute Verläufe. Wenn ich mir zum Beispiel jetzt Daten angucke, was die Transition in diese sekundär chronisch progrediente Erkrankungsphase angeht, da gibt es ja noch diese alten Daten, die auch noch in den alten Lehrbüchern drinstehen und meistens auch in irgendwelchen Ratgebern, dass so nach zehn Jahren doch 50 % eben eine sekundäre, chronisch progrediente Verlaufsform auch in Kauf nehmen müssen. Also die letzten Daten, die ich gesehen habe, die das systematisch ausgewertet haben, also nach der Ära der Immunmodulatoren, die ist mittlerweile schon weit unter 20 %. Und wenn man hochwirksame Therapien anguckt, kann man sogar das noch weiter drücken, sogar in den einstelligen Bereich. Und die Studie, die Sie eben angesprochen haben, Dänemark/Schweden, die zeigt ja auch, dass man letztlich Progression durch eine frühe, konsequente Therapie ganz gut verhindern kann. Und dann gibt es auch noch einige Registerauswertungen, die zeigen, dass es von Vorteil ist, je früher man anfängt mit der Therapie, desto weniger wahrscheinlich eben den Übergang auch in so progressive Phasen zu erleben.

    Es gibt schon einige, wirklich gut gemachte Daten, die zeigen, dass das vernünftig ist da auch was zu machen. Noch mal, im Endeffekt ist es natürlich immer die eigene Entscheidung. Und wenn die eigene Entscheidung auf der Basis von Wissen und Evidenz getroffen ist, ist das alles in Ordnung. Ich würde dann zwar auch versuchen, dagegen zu argumentieren. Aber da kann ich gut mit umgehen, wenn ich jemanden gegenüber habe, der mir letztlich evidenzbasiert versichert, dass er das verstanden hat, wie MS funktioniert. Wo ich aber, wie gesagt, gar nicht mit kann, das ist mit irgend so einem Geschwurbel, wo ich merke, da hat sich eigentlich niemand die Mühe gemacht, sich mal damit auseinanderzusetzen, was das eigentlich bedeutet und dass das eben doch eine chronische Erkrankung ist, die auch nicht zwischen den Schüben weg ist. Sondern die ist da und die ist auch bei den meisten aktiv da und es lohnt sich, diese Aktivität auch langfristig gesehen zu unterdrücken.

    Wie umkehrbar sind Spätfolgen, die sich im progredienten Verlauf der MS zeigen, nach aktuellem Stand der Forschung und Behandlungsoptionen?

    Nele Handwerker: Vielleicht gibt es ja irgendwelche Leute, die denken, ach und dann erfindet die Forschung was in zehn Jahren und dann kann das alles wieder rückgängig gemacht werden, mein Gehirn wird wieder größer, alles wird wieder toller. Und ich kann hüpfen wie ein Kind.

    Prof. Mathias Mäurer: Da wird natürlich dran gearbeitet und das ist auch eine große Hoffnung. Das wünschen sich ja viele, dass man die Sache wieder reparieren kann. Irgendwelche Remyelinisierungsstrategien oder auch Neuroprotection oder vielleicht sogar auch ein Wiederaufbau mit Stammzellen oder so. Klar, da wird dran geforscht. Nur da muss man ganz klar sagen, das ist noch so weit weg von einer klinischen Realität, dass ich da nicht drauf warten würde. Da geht nämlich viel Zeit ins Land. Also natürlich ist das mal ein Ziel, dass man eben auch denjenigen helfen kann, die durch die Erkrankung ernst zu nehmende Symptome bekommen haben. Aber im Moment können wir das nicht zurückdrehen. Was passiert ist, ist häufig dann auch fixiert. Man kann das zwar durch Reha auch kompensieren, das Gehirn ist ja wirklich sehr leistungsfähig, auch sogar in späteren Phasen der Erkrankung kann man da noch viel durch Kompensation erledigen. Aber man wird bestimmte Dinge nicht zurückdrehen können oder hat auch noch keine Möglichkeiten in der Hand, das zurückzudrehen. Das erfolgreichste Konzept ist in der Tat eben die frühe entzündungshemmende Therapie. Das ist das, wo wir eigentlich doch in den letzten Jahren gesehen haben, das hat eine ganze Menge Fortschritt gebracht bei der Erkrankung.

    Nele Handwerker: Jetzt sind Sie schon eine Weile MS-Spezialist.

    Sind Ihnen denn schon Patienten begegnet, die ihre frühere Entscheidung gegen verlaufsmodifizierende Medikamente bereut haben?

    Prof. Mathias Mäurer: Ich mache das jetzt seit fast 25 Jahren, dass ich in der MS-Ambulanz arbeite und ich habe wahrscheinlich schon mehrere 1000 Patienten gesehen. Ich bin niemand, der zurück guckt. Natürlich denkt man sich manchmal, Mensch, das hätten wir besser machen können oder hätten wir irgendwie ein bisschen früher begonnen. Aber das interessiert mich eigentlich in so einer Situation nicht mehr. Ich nehme jeden so, wie er kommt und versuche das Beste rauszuholen. Dieser Blick zurück, der ist sowohl von Arztseite Schwachsinn als auch von Patientenseite. Sie können es ja nicht mehr ändern. Der Blick muss immer nach vorne gehen und da muss man die Situation so nehmen, wie sie zu dem Zeitpunkt ist.

    Ich bin auch der Meinung, man kann, egal zu welchem Zeitpunkt und in welcher Phase immer irgendwas rausholen. Sei es durch Reha, sei es durch symptomatische Therapie und natürlich auch wenn in frühen Phasen vielleicht dieser Sinneswandel passiert dann auch noch durch eine gut gewählte Immunmodulation.

    Ich sage mal so, ich habe noch keinen MS-Patienten erlebt, der, wenn er sich auf das eingelassen hat und nicht so ein Grundmisstrauen gegen uns als Mediziner mitbringt, der nicht verstanden hat, was wir ihm damit sagen wollen und der dann auch selber sagt, ja, das sehe ich irgendwo ein, das überzeugt mich. Häufig ist es tatsächlich diese Situation, wenn man sich überhaupt nicht auf unsere Sichtweise der Dinge einlässt, sondern nur stur auf auf seinem Modell beharrt, das man dann wahrscheinlich falsche Berater hat, denen man eben mehr vertraut als den Profis.

    Nele Handwerker: Vielen Dank, war ein tolles Interview.

    Möchten Sie den Hörerinnen und Hörern noch was mit auf den Weg geben zum Schluss?

    Prof. Mathias Mäurer: Ich sage mal so: Bleiben Sie in dem, was Sie tun entspannt, aber nicht so entspannt, dass Sie den Kopf in den Sand stecken und denjenigen hinterherlaufen, die Ihnen das Blaue vom Himmel herunter versprechen. Die Erkrankung ist saublöd und letztlich erfordert das auch, dass man sich damit auseinandersetzt und teilweise in manche saure Äpfel beißt oder manche Kröten schlucken muss. Aber irgendwelchen falschen Propheten hinterherzulaufen mit Heilversprechen, das ist auf lange Sicht nicht gut.

    Nele Handwerker: Ein sehr gutes Schlusswort.

    Prof. Mathias Mäurer: Ja, das würde ich mitgeben.

    Nele Handwerker: Vielen, vielen Dank, Herr Professor Mäurer, das war ein tolles Interview. Ich freue mich und ich hoffe, ich darf Sie noch mal irgendwann zu einem schönen Thema einladen. Nochmals danke.

    Prof. Mathias Mäurer: Immer gerne. Hat mich auch gefreut. Und auch an alle Hörer und Leser noch einen schönen Tag.

    Nele Handwerker: Tschüss.

    Prof. Mathias Mäurer: Tschüss.

    ++++++++++++++++++++
    Ich wünsche Dir bestmögliche Gesundheit,
    Nele

    Mehr Informationen rund um das Thema MS erhältst du in meinem kostenlosen MS-Letter.

    Hier findest Du eine Übersicht über alle bisherigen Podcastfolgen.

    #130 - Interview mit Dr. Anja Dillenseger über relevante digitale Biomarker für MS-Patienten

    #130 - Interview mit Dr. Anja Dillenseger über relevante digitale Biomarker für MS-Patienten
    Cover zum Interview mit Dr. Anja Dillenseger zu relevanten digitalen Biomarkern für MS-Patienten | Podcast #130, Photo by Onur Binay on Unsplash

    In Folge #130 vom MS-Perspektive-Podcast spreche ich mit Dr. Anja Dillenseger vom MS-Zentrum in Dresden über relevante digitale Biomarker für MS-Patienten. Es geht darum, was Biomarker sind? Wie sie eine bessere Beurteilung des Ist-Zustandes ermöglichen, was wiederum eine bessere Behandlung ermöglicht. Welche Rolle dabei Smart Phones, Apps und Fitness Tracker spielen? Außerdem sprechen wir ganz konkret darüber, wie Sehstörungen erfasst werden und die Aussagekraft der Ergebnisse. Und es geht darum, wie Technik objektiv vergleichende Verlaufsdaten zeigen kann, selbst wenn andere Symptome wie Fatigue  beim Messen von beispielsweise Sprechstörungen reinspielen.

    Hier geht es zum Blogartikel:

    Vorstellung

    Anja Dillenseger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin mit akademischem Abschluss beim Multiple Sklerose Zentrum Dresden.

    Sie arbeitete zunächst im Groß- und Außenhandel und war Chefsekretärin bei RENO-Schuhimport. Es folgte ein BWL-Studium. Dann ging sie für 10 Monate in eine Tierarztpraxis und studierte anschließend Veterinärmedizin. Bis 2014 arbeitete sie in einer Praxis in Chemnitz, wechselte dann nach Dresden wo sie in den Jahren 2015/2016 in einer Tierarztpraxis tätig war. Und seit 2016 gehört sie zum Team des MS-Zentrum in Dresden.

    Portraitfoto von Dr. Anja Dillenseger, Interview zu relevanten digitalen Biomarkern für MS-Patienten

    Digitale Biomarker Überblick

    Was sind Biomarker und wofür werden sie genutzt?

    Biomarker sind objektiv messbare Indikatoren physiologischer oder pathologischer Prozesse oder pharmakologischer Antworten auf therapeutische Interventionen. Im Rahmen der MS kann man diese Biomarker unterteilen in:

    • diagnostische (d.h., sie helfen bei der Unterscheidung zwischen verschiedenen Erkrankungen, z.B. oligoklonale Banden),
    • prognostische (diese unterstützen Ärzte dabei abzuschätzen, wie sich eine diagnostizierte Erkrankung entwickelt; z.B. Neurofilament)
    • prädiktive/“vorhersagende“ (geben eine „Vorhersage“, wie die Antwort auf eine Therapie sein wird; welcher Patient profitiert von welcher Therapie? Hier ist zum Beispiel die Genotypisierung vor Siponimod-Therapie zu nennen.)
    • Krankheitsaktivität (messen die Entzündung oder Neurodegeneration, z.B. MRT, Klinik)
    • und Biomarker bezüglich der Therapie-Antwort (hilft zu unterscheiden, ob ein Patient auf eine Therapie anspricht).

    Was ist das Besondere an digitalen Biomarkern und warum sind sie so wichtig?

    Klassisch mussten und müssen diese Biomarker durch Ärzte oder medizinisches Personal erhoben und dokumentiert werden. Dafür fehlt leider häufig die Zeit oder das Personal oder beides (von Räumlichkeiten, um zum Beispiel Funktionstests durchzuführen, mal ganz zu schweigen).

    Daher ist der Gedanke, dass durch die zunehmende Digitalisierung im Gesundheitswesen zum einen diese Informationen gleich digital aufgenommen, dokumentiert und zur Verfügung gestellt werden können. Aber die Digitalisierung bietet auch die Chance, dass Patienten selbst diese Daten generieren und mit ihrem Behandlungsteam teilen.

    Wir hatten 2019 einmal eine Umfrage bei knapp über 200 Patienten gemacht, welche digitale Technologie sie am häufigsten verwenden. Das Smartphone war da ganz vorne mit dabei mit einer Nutzung mehrmals täglich. Smartphones bieten im Grunde alles, was man braucht: Kamera (z.B. zur Stimmungserhebung anhand des Gesichtsausdruckes), Mikrofon (zur Dokumentation der Sprache und eventuellen Auffälligkeiten), GPS und Gyroskop (zur Messung von Mobilität und Rotationsbewegungen des Körpers) etc. Also: warum dies sich nicht zunutze machen? Oder Fitness-Tracker?

    Wie können digitale Biomarker das Leben von Menschen mit MS verbessern in Bezug auf Behandlung und Prognose?

    Bei MS heißt es, frühzeitig auf Progressionen zu reagieren. Aber natürlich auch die Kontrolle der Therapie-Aktivität oder das Hinzukommen von neuen Symptomen.

    Normalerweise sehen wir Patienten alle 3 Monate, manchmal auch nur alle 6 Monate. Mal ehrlich, ich könnte mich nicht erinnern, wenn du mich jetzt fragen würdest, wie oft ich in den letzten 3 Monaten z.B. unter Kopfschmerzen gelitten habe. Das Gedächtnis eines jeden erinnert vielleicht die letzten 5 Tage ganz konkret, je nachdem natürlich, wie gravierend das Ereignis war. Aber im Grunde geht wohl viel Information verloren. Oder wird nicht ernst genug genommen.

    Wenn jetzt aber der Patient sich zum Beispiel hinsichtlich bestimmter Symptome selbst in seiner Häuslichkeit messen kann oder regelmäßig digitale Fragebögen zu den wichtigsten Symptomen zugeschickt bekommt, die Veränderung bestehender Symptome von ihm/ihr selbst über ein digitales Programm dokumentiert werden kann oder auch Schübe im Rahmen eines Tagebuches, dann unterstützt dies auch bei Visiten das Arztgespräch.

    Noch besser natürlich, wenn der Arzt ebenfalls (nach Zustimmung des/der Patient*in natürlich) direkt Zugriff zu diesen Informationen in Echtzeit hätte. Und da geht die Reise hin.

    Welche krankheitsbedingten Veränderungen bei MS-Patienten können bereits gut und effizient mit Hilfe von digitalen Biomarker erfasst werden?

    Die Bekanntesten hier sind wohl das MRT sowie die Untersuchung des Augenhintergrundes mittels der optischen Kohärenztomographie. Da ist dann aber noch lange nicht Schluss.

    Patienten an unserem Zentrum kennen hier zusätzlich die Ganganalyse, die bei uns mithilfe digitaler Technologie (z.B. ein mit Drucksensoren ausgestatteter Teppich), Opal-Sensoren, die am Körper befestigt werden und die Rotation des Körpers während verschiedener Aufgaben dokumentieren, digitale Fragebögen (Selbsteinschätzung der Mobilität) und vieles mehr.

    Zusätzlich gibt es bereits die Möglichkeit, Funktionstest tablet-basiert durchzuführen, ohne dass Patienten hier durch medizinisches Personal unterstützt werden müssen. Diese Funktionstests fokussieren sich hierbei auf die am häufigsten betroffenen Beeinträchtigungen im Rahmen der MS: das Gehen, das Kontrastsehen, die Kognition (also Konzentration und Verarbeitungsgeschwindigkeit) sowie die Funktion der oberen Extremitäten. Studien haben hier belegt, dass diese den papierbasierten Funktionstests in nichts nachstehen.

    Bisher waren solche digitalen Funktionstestungen häufig nur im Rahmen von Studien einsetzbar, aber die Überprüfung des Nutzens in der klinischen Routine nimmt gerade sehr an Fahrt auf. 

    Apps, die Funktionstests von zuhause aus ermöglichen gibt es bereits. Im Bereich der Alzheimer-Erkrankung werden Sprach- bzw. Sprech-Aufgaben mit Erfolg eingesetzt, um Hinweise auf depressive Verstimmungen, kognitive Beeinträchtigungen und Fatigue zu erhalten. Bei MS muss dies noch überprüft werden. Da startet im April bei uns ein Projekt dazu. Wie man erkennen kann, ist die Erfassung dieser digitalen Biomarker nicht überall verfügbar. Das wird sich in Zukunft hoffentlich ändern.

    Welche Rolle spielen Apps, Smartphones und Fitnesstracker beim Erfassen der Daten und wie viel wird beim Arzt gemessen?

    Diese Tools bieten die Möglichkeit der Erfassung digitaler Biomarker! Ein Smartphone hat doch jeder. Tablets sind mittlerweile auch so erschwinglich, dass man die sich in die Praxis oder Klinik legen kann, um Testungen oder digitale Fragebögen darauf durchzuführen. Fitness-Tracker sind eher nicht so ganz verbreitet, könnten aber bei bestimmten Patienten zur Verfügung gestellt werden, was derzeit nur im Rahmen von Studien der Fall ist. Aber in diesen digitalen Werkzeugen liegt die Zukunft.

    Was derzeit mit Hilfe von Apps, Smartphones und Tablets gemacht werden kann bewegt sich zum Großteil auch im Bereich der Forschung. Beispiel der Einsatz von digitalen Funktionstests (Kontrastsehen, Stäbchen-Steck-Test, 7,61-Meter-Gehtest, Verarbeitungsgeschwindigkeit), wobei hier gerade auch ein Zulassungsverfahren für eine DiGA (digitale Gesundheitsanwendung auf Rezept) läuft, die Funktionstest beinhaltet, Tagebuchfunktion und noch mehr.

    Auch werden immer mehr Apps, sogenannte DiGAs zur Unterstützung bei bestimmten Symptomen, wie Fatigue (basierend auf etablierten psychotherapeutischen Ansätzen und Verfahren insbesondere der kognitiven Verhaltenstherapie) und demnächst auch zur Unterstützung bei depressiven Verstimmungen. Da ist viel in der Entwicklung. Auch bei uns im Zentrum ist da einiges im Gange, wie die Testung einer App für das Selbstmonitoring (auch über digitale Funktionstests), Sprachanalyse, unsere multimodale Ganganalyse und vieles mehr, an dem geforscht und entwickelt wird.

    Wie kompliziert ist die Auswertung der erfassten Daten?

    Das ist ein wichtiges Thema. Durch die digitale Erfassung und des immer umfangreicher werden Spektrums, was alles erfasst werden kann, nimmt natürlich die Datenmenge extrem zu.

    Die Verwendung digitaler Biomarker stellt andere Anforderungen an die Datenanalyse als die herkömmliche Verarbeitung von Daten im klinischen Alltag und sogar als die aufwändigere Verarbeitung in klinischen Studien.

    Um den prädiktiven Zweck eines Biomarkers zu erfüllen, ist die Datenübertragung und Datenanalyse in Echtzeit das Ziel. Dies erfordert eine Unabhängigkeit von Ort und Situation der Datenerhebung, d. h. eine Datenverarbeitung, die in der klinischen Praxis stattfinden kann, aber nicht auf die Räumlichkeiten des Neurologen beschränkt ist, und die Besuche, die in größeren Abständen stattfinden. Dazu müssen Daten aus unterschiedlichsten Quellen über standardisierte, sichere Schnittstellen digital aggregiert werden – eine Aufgabe, die weit über die Möglichkeiten einzelner Apps hinausgeht.

    Die allgemeine Anforderung an (automatisierte) Informationsverarbeitungssysteme besteht auch darin, dass sie zuverlässig nützliche Informationen (echte medizinische Bedürfnisse) von Rauschen unterscheiden können, z. B. durch Anwendung festgelegter Grenzwerte. Auch ist es wichtig zu überlegen, welche Daten denn Sinn machen und überhaupt wichtig sind für die Therapie und Verlaufskontrolle.

    Wo liegen aktuell die größten Hürden, um digitale Biomarker breitflächig einzusetzen?

    Grundsätzlich einmal in der Validierung der digitalen Biomarker, das heißt, messen diese auch, was man messen möchte und sind diese Messwerte auch repräsentativ und aussagekräftig? Die Privatsphäre (vor allem z.B. bei passiver Dokumentation über GPS des Smartphones) und Datenschutz sind hier besonders wichtig. Wo werden die Daten gespeichert und wer ist dafür (auch hinsichtlich des Datenschutzes) verantwortlich? Über die Datenauswertung hatten wir ja bereits gesprochen. Und hinsichtlich der Adhärenz, das heißt, der Nutzung dieser Technologie, Tests und Apps, muss der Patient ebenfalls mitarbeiten.

    Detailfragen digitale Biomarker

    Wie gut können Sehstörungen mit digitalen Biomarkern gemessen werden und welche Arten gibt es?

    Das Sehvermögen ist eines der am stärksten betroffenen Funktionssysteme bei Patient*innen mit MS und äußert sich häufig in Form einer Sehnervenentzündung. Die klinischen Anzeichen können von Veränderungen des Farbsehens, verminderter Sehschärfe bis hin zum vollständigen Verlust des Sehvermögens reichen.

    Das am häufigsten eingesetzte digitale Untersuchungsverfahren ist das OCT, die optische Kohärenz-Tomographie. Mit OCT können die Dicke der peripapillären Netzhautnervenschicht (pRNFL) und das Makulavolumen (Makula = Bereich des scharfen Sehens) gemessen werden, um nach Netzhautatrophie zu suchen. Es wurden im Bereich der Forschung Modelle entwickelt, um die Assoziation von OCT-basierten Metriken mit dem Grad der Behinderung zu bestimmen. Diese umfassten kontinuierliche Variablen wie die pRNFL-Dicke und das Makulavolumen, um die Wirkung (Zunahme oder Abnahme) auf das Risiko einer Verschlechterung der Behinderung zu quantifizieren. Die Ergebnisse legen nahe, dass die regelmäßige Überwachung der peripapillären retinalen Nervenfaserschicht ein nützlicher digitaler Biomarker zur Überwachung der Verschlechterung der Behinderung bei MS sein könnte, zumal er mit klinischen und paraklinischen Parametern des Sehvermögens, der Behinderung und der MRT korreliert.

    Ein weiterer digitaler Biomarker, der zur Überwachung von Sehbehinderungen verwendet werden kann, ist das Kontrastsehen. Die Prüfung der Sehschärfe bei niedrigen Kontrastverhältnissen ist von Bedeutung, da bei Menschen mit Behinderung die Schwelle, bei der ein Buchstabe noch vom Hintergrund unterschieden werden kann, deutlich höher ist als bei gesunden Personen. Digital wird diese Untersuchung derzeit allerdings nur im Rahmen der Forschung durchgeführt.

    Ein Bereich der noch erforscht wird, sind die okulomotorischen Störungen, die ebenfalls auftreten können, also Störungen der Augenbewegung. Die am häufigsten beobachteten Augenbewegungsstörungen sind zum Beispiel überschießende oder zu kurz erfolgende schnelle, ruckartige Augenbewegungen beim Wechsel eines Fixpunktes), gestörte horizontale Augenbeweglichkeit, und Nystagmus (unwillkürliche Augenbewegung).]

    Welche Sprachstörungen können MS-Patienten bekommen und wie können digitale Biomarker diese testen?

    Sprach- und Sprechprobleme kommen bei 40-50 % aller MS-Patienten vor. Dazu zählt vor allem die Dysarthrie, das heißt eine neurologisch bedingte Sprechstörung, die durch eine Schädigung des zentralen oder des peripheren Nervensystems verursacht wird. Dabei kann die Lautbildung bzw. Artikulation gestört sein, aber auch die Atemkapazität, die Sprechmelodie (also eher ein monotones Sprechen), dass vermehrt Pausen gemacht werden oder die Stimme sehr angespannt ist. Und das kann man sich für die Untersuchung mittels digitalen Biomarkern auch zunutze machen.

    Da diese Beeinträchtigungen auch nur ganz leicht auftreten können, ist es für das menschliche Ohr (also den Untersucher) manchmal schwierig zu erkennen.
    Nutzt man Applikationen (Apps), anhand derer Patienten Sprach-Aufgaben durchführen und diese gespeichert und analysiert wird, hat man zum einen eine objektive Erkennung von Veränderungen, die aber auch standardisiert ist.

    Das heißt, bei Verlaufskontrollen wird sich immer auf das gleiche „Normal“ bezogen. Menschliche Unterschiede bei Beurteilungen und der Wahrnehmung (2 Untersucher können zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen) fallen also weg. Das Gleiche gilt für alle digitalen Biomarker. Sie sind standardisiert. Ein Problem könnten allerdings verschiedene Akzente oder Dialekte darstellen. Auch das Alter, die Komplexität der durchzuführenden Sprachaufgaben und die individuellen kognitiven Fähigkeiten müssen berücksichtigt werden.

    Der Vorteil von digitalen Sprachanalysen ist, dass diese auch zum Beispiel während der Visite, bei Telefonaten oder Videosprechstunden mit durchgeführt werden können, also passiv.

    Warum sind Untersuchungen von Sprache/des Sprechens wichtig?

    Neben der frühzeitigen Erfassung von Beeinträchtigungen darf man nicht vergessen, dass Sprach- bzw. Sprechbeeinträchtigungen durchaus negative Effekte hinsichtlich Berufstätigkeit und sozialer Einbindung haben, mit daraus resultierenden Einflüssen auf die Lebensqualität!

    Welche Auswirkungen haben Depression und Fatigue auf die Sprache und andere Symptome der MS und ist es möglich, trotz verschiedener Einflussfaktoren ein klares Bild über den Ist-Zustand eines Patienten zu gewinnen?

    Die Fatigue kann die Konzentrationsfähigkeit sowie die Sprech-Geschwindigkeit beeinflussen. Depressive Verstimmungen zum Beispiel zu monotoner Stimme, einer leisen Stimme oder zu negativen Einflüssen bei der Sprachanalyse führen, wenn zum Beispiel ein positives Erlebnis der vergangenen zwei Wochen berichtet werden soll, der/die Patient*in aber ein negatives Erlebnis erzählt.

    Anzeichen von Müdigkeit und Depression sind bereits bei gesunden Personen oder Patienten ohne neurologische Erkrankung nachweisbar. Da Müdigkeit, Depressionen und kognitive Beeinträchtigungen bei MS häufig vorkommen, könnten sie durch Sprachanalysen erfasst werden.

    Testbatterien können so konzipiert werden, dass sie exekutive Funktionen und Verarbeitungsgeschwindigkeit (z. B. phonematische und semantische Wortflüssigkeit), Gedächtnis (z. B. Wechsler Memory Scale und California Verbal Learning Test), Affekt und Müdigkeit (z. B. Storytelling), Sprache (Bildbeschreibung) und motorische Funktionen (Pa-ta-ka-Aufgabe) erfassen.

    Bislang ist die Durchführung solcher Sprach- und Sprachtests auf Studien beschränkt (bei uns am MS Zentrum Dresden wie gesagt ab April), doch kann man sich vorstellen, dass sie in Zukunft bei klinischen Besuchen von Menschen mit Behinderung oder sogar zu Hause durch den Einsatz spezieller Apps oder Aufzeichnungen bei telemedizinischen Besuchen eingesetzt werden können.

    Wie vielfältig sind die Ursachen für einen schlechten Gang und wie viele Tests werden benötigt, um sich ein umfassendes Bild zu machen?

    Beeinträchtigungen des Gehens sind mit ca. 85 % die häufigsten Symptome bei MS. Mehrere Faktoren tragen dabei zur Gangstörung bei Patient*innen mit MS bei.

    Sensorische Veränderungen und das daraus resultierende Ungleichgewicht, die Schwäche der unteren Extremitäten oder das Vorliegen einer Spastik sowie Kleinhirn-Ataxien haben hier wohl die größten Auswirkungen.

    Der in der Routine am häufigsten durchgeführte Test ist der 7,61-Meter-Gehtest. Wie der Name schon verrät, geht der/die Patient*in hier lediglich 7,61 Meter so schnell und sicher wie möglich, ohne zu rennen. Eine Schwester/Pfleger misst die dafür notwendige Zeit. Das Problem mit diesem Test ist aber, dass hier Auffälligkeiten bei Patient*innen beobachtet werden, bei denen augenscheinlich Beeinträchtigungen vorliegen.

    Was man nicht damit erfasst, sind Gehbeeinträchtigungen, die erst nach mehreren Minuten oder einigen zurückgelegten Metern auftreten. Auch Faktoren wie die Schrittlänge, Spurbreiten, wie fußt der Patient*in, muss mit dem Körper ausbalanciert werden, wie verändert sich das Gehen, wenn noch eine zweite Aufgabe hinzukommt, werden nicht erfasst. Diese Informationen sind aber essentiell und müssen dokumentiert und im Zeitverlauf verfolgt werden. Es ist also komplexer.

    Wir haben daher bei uns im Zentrum die multimodale Ganganalyse, die meine geschätzte Kollegin Frau Katrin Trentzsch etabliert hat. Hier werden neben dem 7,61-Meter-Gehtest auch ein 2-Minuten-Gehtest, die Erfassung des Ganges über das GaitRITE (ein Teppich, der über Sensoren Auskunft über die Schrittlänge, Spurbreite, Geschwindigkeit des Ganges gibt) mit und ohne Dual-Task (also eine zweite Aufgabe, die während des Gehens absolviert werden muss, um so mögliche Veränderung im Gangbild hervorzurufen) sowie den Romberg Stehtest und beobachten zusätzlich bei all diesen Tests die Rotationsbewegung des Körpers mittels am Körper befestigter Opalsensoren. Hinzu kommen Fragebögen, um subjektive Angaben über die Mobilität zu erhalten.

    Die Kraftmessplatte kam neu dazu, die bereits frühe Veränderungen detektieren kann. Aber das ist nur ein Teil, was das Mobilitätszentrum von Frau Trentzsch macht und machen kann. Aber es ist das, was wir jedem/r Patient*in bei uns im MS-Zentrum mindestens 1x pro Jahr anbieten.

    Was man nicht vergessen darf:
    Grundsätzlich ist es wichtig, Beeinträchtigungen des Gehens im Speziellen und der Mobilität im Allgemeinen in der täglichen Routine der Patienten zu betrachten. Das ist leider derzeit nicht vollumfänglich möglich. Die Technologie gibt es schon, aber eben allenfalls im Rahmen von Studien, noch nicht für die Routine. Fitness-Tracker oder Smartphones bieten hier gute Einsatzmöglichkeiten. Das Problem ist aber noch für die Routine-Nutzung: wo die Daten speichern, so dass Arzt und Patient diese nutzen können. Datenschutz?

    Wie werden aktuell die Einschränkungen durch MS auf Arme und Hände gemessen und was ist hier zukünftig realistisch?

    Derzeit ist der hauptsächlich verwendete Test der sogenannte 9-Hole-Peg-Test oder Stäbchen-steck-Test. Hierbei sollen jeweils mit einer Hand 9 Stäbchen in vorgebohrte Löcher auf eine Platte nacheinander eingesetzt und wieder entfernt werden. Dabei wird von einer Schwester oder Pfleger die Zeit erfasst, die dazu benötigt wird. Diese Zeit wird in Bezug gesetzt zu einer Kontroll-Kohorte (Menschen ohne Einschränkung).

    Wenn dieser Test regelmäßig gemacht wird, können Veränderungen sehr gut erkannt werden. Natürlich gibt es Schwankungen. Aber wenn beispielsweise eine Verschlechterung um 20 % über mindestens 3 Monate bestehen bleibt, ist dies klinisch signifikant.

    Diesen Test gibt es auch in etwas abgewandelter Form digital. Dazu müssen Tomaten oder Ballons zerquetscht werden, die auf dem Smartphone-Display an unterschiedlichen Stellen und in unterschiedlicher Größe erscheinen. Studien belegten bereits eine Korrelation dieses digitalen Tests mit der „herkömmlichen“ Version.

    Was hier aber noch weitere Vorteile bringt, ist, dass neben der Standardisierung und der Vermeidung, dass das Personal mal zu früh oder zu spät die Stopp-Uhr betätigt, zum Beispiel auch die Möglichkeit der Erfassung des Druckes, den die Finger auf dem Display ausüben. Oder die Zielgenauigkeit. Das sind alles Daten, die kann man mit dem herkömmlichen Test nicht erfassen. Diese sind aber wichtig! Und, nicht zu vergessen, diese Tests können zuhause durchgeführt werden, auch und vor allem dann, wenn Patienten Verschlechterungen bemerken und messen wollen.

    Auf welche Art können kognitive Probleme festgestellt werden?

    Kognitive Probleme beeinträchtigen häufig das Arbeitsgedächtnis, die Wortflüssigkeit, die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, das verbale und visuelle Gedächtnis sowie die exekutiven Funktionen und – nach neuen Erkenntnissen – der Bereich der „Theory of Mind“ (die Fähigkeit, auf der Grundlage nonverbaler und verbalen Hinweisen auf die Emotionen anderer Menschen zu schließen). Das wären dann auch die Ansatzpunkte für mögliche Testungen.

    Der bisher eingesetzte Test ist der SDMT, bei dem Zahlen zu Symbolen innerhalb von 90 Sekunden zugeordnet werden müssen. Dieser Test adressiert das Arbeitsgedächtnis. Das Problem bei diesem Test ist, dass eigentlich auch die schulische Ausbildung mit zur Beurteilung des Ergebnisses herangezogen werden müsste, da das gleiche Ergebnis bei einem eine Auffälligkeit ist, während sie bei dem anderen völlig normal ist. Hinzu kommt natürlich, dass dieser Test auch beeinflusst werden kann durch andere Beeinträchtigungen, wie das Sehen oder der oberen Extremitäten. Trotzdem bleibt dieser Test auch bei der Digitalisierung der Test der Wahl und ist bereits auch als solcher verfügbar. Er ist schnell durchführbar und wenn regelmäßig absolviert, ermöglicht er im Monitoring doch das Erkennen von Veränderungen.

    Für den klinischen Einsatz wurde eine Reihe von vereinfachten Tests für die Kognition bei MS entwickelt, darunter Testbatterien wie der BICAMS (Brief Repeatable International Cognitive Assessment for MS), die Brief Repeatable Battery of Neuropsychological Tests und der Minimal Bewertung der kognitiven Funktion bei MS. Deren Einsatz scheitert aber an zeitlichen und personellen Engpässen (abgesehen von der Umsetzung in eine digitale Form). Aber sollte in dem Symbol-Zahlen-Test eine klinisch relevante Verschlechterung auftreten, kann eine eingehendere neuropsychologische Testung dann angeordnet werden.

    Zusammenfassung Biomarker

    Welche Entwicklungen im Bereich der digitalen Biomarker wünschst Du Dir in den kommenden 5 Jahren?

    Im Bereich der MS würde ich mir die Weiterentwicklung digitale Biomarker wünschen, die bereits frühe Progressionen erkennen können. Darüber hinaus wäre es wünschenswert, dass alle Patienten die Möglichkeit erhalten, von digitalen Biomarkern zu profitieren und nicht nur in ausgewählten Zentren oder im Rahmen von Studien.

    Wie können Patienten dabei helfen, dass digitale Biomarker schneller Verbreitung finden, um möglichst bald von den gewonnenen Ergebnissen zu profitieren?

    Es werden derzeit sehr viele Apps oder digitale Testmöglichkeiten sowie DiGAs (digitale Gesundheitsanwendungen auf Rezept) entwickelt. Aber häufig ist es ja so, dass der Entwickler seine Vorstellung hat, der Arzt ebenfalls, aber der „End-Nutzer“, also der Patient, diese aus den unterschiedlichsten Gründen nicht nutzt.

    Um dies zu vermeiden geht man dazu über, diese Innovationen durch Patienten testen zu lassen, zumindest ist es unsere Empfehlung dies zu tun. Das bieten wir auch Unternehmen mit guten Ideen im Bereich der MS an, diese durch Patienten unseres Zentrums beurteilen zu lassen. Patienten sind da sehr ehrlich und auch wahnsinnig kreativ, was Verbesserungen angeht! Da bin ich immer wieder erstaunt.

    Wenn aber dann solche digitalen Möglichkeiten, die auch eine qualitativ gute Datenerfassung und Bereitstellung an den Arzt ermöglichen, existieren und funktionieren, müssen sie von Patienten konsequent genutzt werden und nicht nur zu Beginn, wenn die Begeisterung groß ist.

    Adhärenz ist da ein großes Problem. Wir schauen auch im Rahmen eines anderen Projektes an unserem Zentrum derzeit, wie die Adhärenz bei einer App ist, die Funktionstests zuhause ermöglicht und was die Ursachen mangelnder Adhärenz sind. Wir sind gespannt auf das Ergebnis!

    Blitzlicht-Runde

    Vervollständige den Satz: „Für mich ist die Multiple Sklerose... “

    … der Antrieb, möglichst hochwertige und patientenorientierte Versorgung anzubieten und weiterzuentwickeln.

    Wie lautet Dein aktuelles Lebensmotto?

    Wenn du es eilig hast, gehe langsam.

    Sowie: Bitte mehr Life in der Work-Life-Balance. Das Leben kann sich so schnell ändern, man hat es eben nicht in der Hand…

    Mit welcher Person würdest Du gern ein Kamingespräch führen und zu welchem Thema?

    Wenn es um Prominente geht: Martin Luther King jr.; wobei es mir schwer fällt, mich auf eine Person festzulegen. Es gab und gibt viele interessante Menschen, mit denen ein Kamingespräch bestimmt nicht langweilig werden würde.

    Ansonsten: meine Oma, die gestorben ist, als ich noch zu unreif war, ihr zuzuhören.

    Welches Buch oder Hörbuch, das Du kürzlich gelesen hast, kannst Du empfehlen und worum geht es darin?

    Als Hörbuch kann ich „Die Purpurnen Flüsse“ (Jean-Christophe Grange) empfehlen! Sehr gut! Höre ich immer wieder.  🙂

    Derzeit lese ich viele Kochbücher. Gerade eben lese ich „Escapism Cooking“, der Titel verrät eigentlich schon, worum es geht: Die Flucht aus dem Alltag durch das Fokussieren auf die Kulinarik. Das Kochen und Genießen von Lebensmitteln. Alleine die Fotos in diesem Buch sind der Hammer.

    Verabschiedung

    Möchten Sie den Hörerinnen und Hörern noch etwas mit auf dem Weg geben?

    Bleiben Sie informiert, was ihre MS angeht! Es ändert sich so viel in kurzer Zeit. Wir finden es äußerst wichtig, dass Patienten ihre Krankheit verstehen mit all ihren Facetten. Denn dann kann man selbst aktiv werden, wenn zum Beispiel Symptome hinzukommen oder bestehende sich verschlechtern oder sie von neuen Therapien hören, die eventuell für sie in Frage kämen. Auch was die Rechte bezüglich Verordnungen angeht etc.

    Wie können MS-Patienten auf dem neuesten Stand beim Thema digitale Biomarker bleiben?

    An jedem ersten Dienstag im Monat findet unser Patienten-Podcast statt. Es geht um alle Themen rund um die MS. Interessierte können sich auf der Homepage des Zentrums für Klinische Neurowissenschaften an der Uniklinik Dresden für den Newsletter anmelden. Sie bekommen dann den Link zum Podcast zugeschickt.

    Die Podcasts können aber auch auf YouTube angesehen werden (ebenfalls ZKN Dresden eingeben). Bei der Live-Teilnahme haben Patienten, Angehörige wie Interessierte die Möglichkeit, Fragen an den Referenten zu stellen. Themenvorschläge sind natürlich herzlich willkommen!

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    Vielen Dank an Anja für die detaillierten und gut verständlichen Einblicke in das Thema digitale Biomarker!

    Denk immer dran, sei und bleibe aktiv, informiere Dich und treffe bewusst Entscheidungen. So kannst Du ein erfülltes Leben mit Multipler Sklerose bei bestmöglicher Gesundheit führen!

    Viel Erfolg dabei und alles Liebe,
    Nele

    Mehr Informationen rund um das Thema MS erhältst du in meinem kostenlosen MS-Letter.

    Hier findest Du eine Übersicht über alle bisherigen Podcastfolgen.

    Multiple Sklerose Therapieoptionen

    Multiple Sklerose Therapieoptionen
    Der Podcast mit der Neurologin Frau Dr. Elvira Steidl beschäftigt sich in der heutigen Folge mit der Erkrankung „Multiple Sklerose“. Teil 4 soll eine kleine Entscheidungshilfe bei der Therapiewahl sein. Jeder Verlauf einer Multiplen Sklerose ist für sich individuell und so sollte auch die Therapieentscheidung individuell gewählt und an die Lebensumstände angepasst werden. Am Ende des Podcast geht es um die Akuttherapie (Schubtherapie) mit Cortison. Mit freundlicher Unterstützung der Firmen Celgen/ Bristol Myers Squibb, Biogen und Roche Pharma.

    Multiple Sklerose Therapieentscheidungen

    Multiple Sklerose Therapieentscheidungen
    Der Podcast mit der Neurologin Frau Dr. Elvira Steidl beschäftigt sich in der heutigen Folge mit der Erkrankung „Multiple Sklerose“. In Teil 3 bespricht sie mit der Patientin Katja den Weg zu einer Therapieentscheidung. Jeder Verlauf einer Multiplen Sklerose ist für sich individuell und die Betroffenen bringen unterschiedliche Vorerfahrungen, Lebenssituationen, Ängste und Sorgen in die Therapieentscheidung mit ein. Katjas Weg ist einer von vielen, so dass eine intensive Beratung durch den betreuenden Neurologen erforderlich ist. Mit freundlicher Unterstützung der Firma Celgen/ Bristol Myers Squibb und einem anonymen Unterstützer.
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